WS #5: Neue Arbeitswelt: inklusiv. sozial. nachhaltig. – KLUB DIALOG

WS #5: Neue Arbeitswelt: inklusiv. sozial. nachhaltig.

01.02.2022
| KLUB DIALOG

Jede Herausforderung bringt eine Chance mit sich. Beim Thema Inklusion in der Arbeitswelt herrscht noch viel Nachholbedarf. Laut Statistiken leben Ende 2021 in Deutschland 13 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Nur knapp 60 % davon sind erwerbstätig, davon wiederum ist nur ein geringer Teil im allgemeinen Arbeitsmarkt tätig. Teilhabe und Integration sind zu strikt von der Arbeitswelt getrennt.

©Leefje Roy Graphic Recording

Dabei können Unternehmen und Startups von den Kompetenzen und Perspektiven durch inklusive Teams lernen sowie enorm profitieren. Wie können dieser gegenseitige Austausch und die Umsetzung funktionieren und mit welchen Hürden sehen sich beide Seiten konfrontiert? Am 01.02.2022 kamen per Zoom-Meeting Unternehmer:innen sowie Vertreter:innen aus dem Bereich und Menschen mit Behinderungen zusammen. Auch zwei Gebärdendolmetscher:innen loggten sich zur Hilfestellung mit ein. Workshop-Leiter Lukas musste krank zuhause bleiben, deshalb legte sich Kurator Norman zusammen mit seinem KLUB-Team für die Moderation und Organisation ins Zeug.

„Eine der größten Chancen für Unternehmen liegt in den Fachkräften. Wir haben den Mangel seit Ewigkeiten in allen Unternehmenszweigen – ich glaube, dass es im inklusiven Bereich diverse Fachkräfte gibt!“

(Norman Breitling, Kurator & KLUB-Vorstand)

 

Nach der Vorstellungsrunde wurde der Input zu Chancen und Herausforderungen via Miro-Board zusammengetragen. Zunächst aus der Unternehmensperspektive. Tatsächlich fanden die Teilnehmenden hier mindestens genauso viele Chancen wie Herausforderungen. Oft denken Unternehmen, es wäre zu komplex, inklusive Teams zu bilden. Gründe, dass die inklusive Arbeitswelt auf der Strecke bleibt, sind dann z. B.: Keine geeigneten Experten im Team, ein aufwendiger Bewerbungsprozess und Mehrarbeit für das Team.

Diversität sorgt durch die Perspektivenvielfalt für bessere Ergebnisse. Und jede Art von Behinderung ist nochmal eine neue Perspektive und kann zu besseren Entscheidungen führen!“

(Nils Dreyer, GF Hilfswerft | Inklupreneur)

Hier hapert es häufig an der Kommunikation: Unternehmen und Menschen mit Behinderungen müssen selbstverständlicher zusammengebracht werden. Dafür müssen Netzwerkpartner:innen, Arbeitgeber:innen und Menschen mit Behinderungen in Dialog treten. Durch Überwindung von Infrastruktur-Hindernissen und Vorurteilen entstehen attraktive Möglichkeiten für die Unternehmen, sofern sie sich der Inklusion öffnen: Neue Fachkräfte, erlebte Diversität, Inspiration für das unternehmerische Ökosystem, Fördermöglichkeiten, neue Marktzugänge, Kaufkraft durch Zielgruppenerweiterung etc.

„Die Menschen, die zu uns kommen, wünschen sich oftmals zwei Dinge: Eine Beschäftigung, die ihnen etwas zurückgibt und die Chance, ein selbstständiges Leben zu führen.“

(Onnen Schulz, Verein für Innere Mission in Bremen)

Wie drücken wir uns aus? Sensibel UND inklusiv!

Viele Berührungsängste entstehen direkt bei der Formulierung bzw. Ansprache. Was ist politisch korrekt? Wie bleiben wir sensibel und inklusiv zugleich? Zu viel Sensibilität kann den natürlichen Umgang auf Augenhöhe hemmen – die Selbstverständlichkeit geht verloren. Genau diese braucht es jedoch, um die inklusive Entwicklung voranzutreiben.

Das Projekt Leidmedien.de, eine Redaktion aus behinderten und nicht behinderten Medienmacher:innen, setzt sich für eine klischeefreie Berichterstattung in Bezug auf das Thema ein. Menschen mit Behinderungen werden häufig entweder als „Opfer“ (mit Behinderung) oder als „Held:in“ (trotz Behinderung) dargestellt. Auch Formulierungen wie „an einer Behinderung leiden“ statt z. B. „mit einer Behinderung leben“ hindern das Selbstverständnis, da negative Bilder im Kopf entstehen. Leidmedien.de bietet hierfür einige hilfreiche Formulierungsempfehlungen an. Oft fehlt aber auch der Mut, einfach mal nachzufragen, wie das Gegenüber bezeichnet werden möchte. Traut euch!

Sehr starke Herausforderungen sehen Unternehmen z. B. in puncto Kosten, den damit verbundenen Zeitaufwand und in der mangelnden Kapazität, um das Themenfeld intensiv anzugehen. Viele Workshop-Teilnehmende stufen den letztendlichen Gewinn eines inklusiven Teams als weitaus höher im Vergleich zu dem Aufwand ein. Hinzu kommt: Die Herausforderungen sind häufig nicht so riesig, wie sie scheinen.

Jeder Mensch kostet – egal ob mit Behinderung oder ohne!“

(Adrian Wenzel, Performance & Projektleitung tanzbar_bremen)

©Leefje Roy Graphic Recording

©Leefje Roy Graphic Recording

Die Unternehmensperspektive war auf dem digitalen Whiteboard weitaus stärker gefüllt im Vergleich zur Perspektive von Menschen mit Behinderungen. Das mag nicht überraschen, da Wirtschaft, Unternehmen und der Bund hier am Zugzwang sind. Menschen mit Behinderung muss der Zugang zum Arbeitsmarkt deutlich vereinfacht werden. Teilnehmende berichten, dass der Übergang von der Werkstatt zum Arbeitsmarkt sehr schwierig sei, auch die Bildungsangebote sind rar und inhaltlich oft nicht gut abgestimmt. Auch das Storytelling muss sich ändern – nahbarer und weniger klischeebehaftet. Transparenter, barrierefreier Zugang muss ein MUSS werden, damit Menschen mit Behinderung die gleiche Chance auf ein selbstständiges Leben und angemessenes Gehalt haben. Inklusiv eben!

„Wir müssen in unserem Diskurs auch unterscheiden – zwischen seelischer und körperlicher Behinderung. Die Zusammenfassung von ‚Menschen mit Behinderungen‘ birgt ein paar fachliche Fallen, die mitbedacht werden müssen. Z. B. kann jemand mit schwerer körperlicher Beeinträchtigung höchstqualifiziert für andere Bereiche sein. Das Paradebeispiel hier ist Stephen Hawking.“

(Michael Scheer, GF Gesellschaft für integrative Beschäftigung)

©Leefje Roy Graphic Recording

Im Workshop wurden interessante Lösungsansätze gefunden. Mitdenken und Einbeziehen bleibt eine langfristige Aufgabe, sonst kann Inklusion nicht nachhaltig bestehen. Inklusion bedeutet beidseitig aufeinander eingehen, verstehen und lernen. Päckchen haben schließlich alle zu tragen. Aber bekommen auch alle die gleiche Chance mit dem eigenen „Päckchen“ am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen? Eine stark hörbeeinträchtigte Teilnehmerin berichtet z. B., wie stark ihr Alltag durch das Maskentragen leidet, weil das Lippenlesen wegfällt.

„Im beruflichen Alltag habe ich inzwischen nach viel Kampf Gebärdendolmetscher, die mich begleiten. Im privaten Leben allerdings nicht – das bezahlt niemand. Lippenlesen ist daher enorm wichtig für mich und andere mit Hörbehinderungen. Masken machen das Leben extrem kompliziert und verunmöglichen für mich alles, was die Kommunikation im Alltag betrifft!“

(Dr. Irmhild Rogalla, Fachleitung Institut für Digitale Teilhabe – HS Bremen)

Hier gilt es aufzuklären und Schubladendenken abzubauen. Dafür müssen Fachkräfte, aber auch Förderprogramme und Angebote wie z. B. Sensibilisierung-Seminare, (noch) sichtbarer werden. Vor allem sollte Inklusion auch schon frühzeitig, z. B. in der Schule, ein Thema spielen – so entstehen viele Berührungsängste und Überforderungen womöglich gar nicht. Zum Abbau der Barrieren hatten die Teilnehmende diverse Ideen: von der inklusiven Jobmesse über Institutionen, die mit gutem Beispiel vorangehen bis hin zum Speeddating. Es gab auch Vorschläge für ein „Barrierefreiheit-Siegel“. Auf der Suche nach Arbeitskräften müssen Menschen mit Behinderungen selbstverständlicher und direkter angesprochen werden.

„Inklusion ist nie einseitig.“

(Alexandra Göddert, Stiftung Inklusive Stadt | Inklusives Bremerhaven)

Die Voraussetzungen eines vielseitigen, inklusiven Netzwerks sehen viele Teilnehmende als vorhanden, auch beschäftigen sich mehr Unternehmen mit dem Thema oder arbeiten schon mit inklusiven Teams. Weiter so, damit mehr Unternehmen den Mut fassen und auch Menschen mit Behinderung sich trauen. Inklusiv selbstverständlich, so sollte es doch sein, oder?

Ein Workshop-Bericht von Maria Wokurka

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