KLUB REISE #10 – KLUB DIALOG

KLUB REISE #10

Den Stier bei den Hörnern packen
17. Mai 2019 | 18:30 Uhr | Kunsthalle Bremen

Das Reisetagebuch

Foto: Frank Pusch

Es ist Freitag, 18.30 Uhr. Vor der Kunsthalle duftet es nach frischgebackenen Croissants. Rund 40 Menschen tummeln sich vor einem silbernen Reisebus. Überall dunkelblaue Beutel, gelbe Sterne. Was ist hier los? Eine Reise ist geplant, allein das ist sicher. Aber wo’s hingeht, das weiß keiner so genau und bisher möchte es auch keiner verraten. Allein ein ominöses Thema steht im Raum: „Den Stier bei den Hörnern packen“. Was?

Licht ins Dunkel bringt unser Reiseleiter Peer Gahmert – Dirigent, gute Seele und mitunter Schweinehirte des Abends – nachdem es sich alle Reisenden im Bus bequem gemacht haben. Auf gewohnt charmante Art und Weise weist er zunächst auf die Regeln der Reise hin und bittet dann KLUB DIALOG-Vorstandsmitglied Marco Höhn um Hinführung zum Thema: Der Kurator der Reise schweift aus bis in die Zeit der griechischen Mythologie, er erzählt etwas von Zeus, der sich hormongesteuert in einen weißen Stier verwandelt, um sich die schöne Europa zu mopsen, die ihn an den Hörnern packt und auf ihm durch das Mittelmeer bis nach Kreta reitet. Drei gemeinsame Kinder später, und Zeus benennt einen ganzen Kontinent nach ihr. Aaaha, es geht also bei dieser KLUB Reise um Europa – im weitesten Sinne zumindest. Darum, Grenzen zu überwinden, um ein großes Ganzes, um ein Wir, um Freiheit, Frieden und so. Klingt groß. Ist es auch. Was in den kommenden Stunden passieren wird, bleibt trotzdem weiterhin nebulös. Es erhält aber langsam eine feine Kontur.

Zeitgrenzen überwinden

Zurück zum Anfangspunkt der Reise. Nach nur wenigen 100 Metern Fahrt heißt es schon: Halt! Alle ausgestiegen. Es stellt sich nämlich heraus, die erste Grenze haben wir bereits überschritten. Unter die illustre Reisegruppe hat sich augenscheinlich eine Zeitreisende gemischt.

Anna, geboren im Jahr 1451. Sie trägt mittelalterliche Kleidung, einen langen Rock und auf dem Kopf ein Barett mit Krempe. Wie sie sich zu uns gebeamt hat, verrät sie uns leider nicht. Dafür aber berichtet sie, wie man zu ihrer Zeit in Bremen lebte. Wir laufen durch die Innenstadt und erfahren etwa, dass die heutige Sögestraße im Mittelalter die dreckigste Straße der Stadt war.

Foto: Frank Pusch

Zweimal täglich wurden hier sämtliche Schweine der Stadt von Hirten hindurchgetrieben. Und dreckig heißt wirklich dreckig. Mist bis zu den Waden, sagt Anna. Anna kennt sich auch aus mit den Modetrends der damaligen Zeit, Schnabelschuhspitzen waren bei Männern der heiße Scheiß, je länger die Schnäbel desto besser beziehungsweise wohlhabender.

Ausgestattet mit einem ganz neuen Blick auf Bremen – und der Erkenntnis, dass die Ideen der mittelalterlichen Hanse als Vorbild für die europäische Einigung dienten – stapfen wir zurück zum Bus. Hier dann die ernüchternde Einsicht: Anna heißt gar nicht Anna, sondern Katharina. Das Gute daran: Wir erfahren, dass man Katharina für besondere, themenbezogene Stadtführungen buchen kann. Und dass sie als Kooperationspartnerin dieser KLUB REISE maßgeblich an der Planung und Ausgestaltung beteiligt war. Ein herzliches Dankeschön an Katharina Rosen und die Bremenlotsen!

Wer bisher noch nicht in seinen blauen Beutel geschaut hat, wird spätestens jetzt von Reiseleiter Peer dazu angeregt. Dort ist neben Croissants und Keksen zu finden: Ein persönlicher Reisepass, ausgestellt in einem europäischen Land. Ebenso dabei: Zahlreiche VISA-Sticker des jeweiligen Staates. Ab jetzt werden fleißig Flaggen getauscht und fiktive Lebensläufe entworfen: „Hallo ich bin Hanna aus Mazedonien, wer bist du?“ Der Tauschhandel lohnt sich, denn es wird ein Preis ausgelobt, für den oder die Person, die am Ende der Reise die meisten Sticker im Heft vorweisen kann.

Weiter gen Osten – geografische Grenzen überqueren

Nach einigen weiteren zurückgelegten Reisekilometern lüftet Reiseleiter Peer das Geheimnis um Reisestopp 2 und stellt Manuela Putz von der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen vor. Dank ihr und dem stellvertretenden Institutsleiter Heiko Pleines erhalten wir Einlass zum sonst nur schwer zugänglichen Archiv. Was es hier zu finden gibt, zeigen uns die beiden in einer kurzweiligen Präsentation: Seit 1982 werden im Osteuropainstitut Dokumente und Objekte der „illegalen“ Kultur aus Osteuropa gesichert, die im Selbstverlag, also unter Umgehung der Zensur während des kalten Krieges veröffentlicht wurden. Wir sehen beispielsweise Fotos einer illegalen Wohnzimmerausstellung, Schmuggelware, auf Röntgenaufnahmen gepresste Schallplatten und viele Exponate mehr.

Foto: Frank Pusch

Aufgetankt mit neuem Wissen und ganz und gar nicht angestaubten, sondern erhellenden Eindrücken geht es mit dem Bus weiter – und zack! sind wir auch schon zurück in der Innenstadt. Durch die Altstadtgassen geht es auf direktem Weg zum Kontorhaus, vor dessen Toren Reiseleiter Peer eine Flasche Gorbatschow zückt und einmal mit allen Gästen anstößt – auf diesen guten Abend, auf das Ende der Plastikbecherindustrie, auf Europa. Und überhaupt.

Zukunftsvisionen basteln

Foto: Frank Pusch

Dann überreicht er sein Megafon an Christo Papanouskas, der Mann, der hinter unserer dritten Reisedestination steckt und vor wenigen Wochen das Space27 eröffnet hat. Bei Christo dreht sich alles um das große Thema „Die Zukunft der Arbeit“. Mit seiner Agentur Assassin Design werkelt er mit und für ganz unterschiedliche Kunden an Lösungsansätzen. Er geht beispielsweise der Frage nach, welche Aufgaben Menschen übernehmen können, deren eigentlicher Tätigkeitsbereich mehr und mehr automatisiert wird. In seinen Pop-up-Space kann man sich einmieten, es gibt Raum für Ideenfindung und alle Phasen der Produktentwicklung, allerlei Werkzeug, um Ideen direkt in Prototypen zu verwandeln, 3D-Drucker, digitale Flipcharts und und und. Kurzum, hier geht es ums Machen, ums konkrete Ausprobieren. Gutes Stichwort! Wir legen also los, finden uns in kleinen Grüppchen zusammen und bauen aus Legoklötzchen eine Vision davon, wie „Stühle der Zukunft“ aussehen könnten. Unser Erfindergeist ist gepackt, gerne würden wir noch viel mehr probieren, aber die Zeit drängt – uns steht noch ein weiteres Reise-Highlight bevor.

Am Rande der Realitätsgrenze

Mittlerweile ist es fast Nacht geworden. Wir fahren weit hinaus. „Sind wir gleich am Meer?“ Nein, ganz und gar nicht. Wir finden wir uns mitten im Industriegebiet wieder: überdimensionale Leuchtreklame, nächtliches Getümmel, es riecht nach Popcorn. Hiermit hat wohl keiner gerechnet: Wir folgen den Laserlichtern und strömen ein in Bremens erstes Virtual Reality Game Center am Weser Park! Sebastian Waack, der uns fantastischerweise das gesamte Center exklusiv zur Verfügung stellt, begrüßt uns herzlich. Wer mag, taucht per 3D-Brille mit „Zombyte“ oder „Cold Clash“ direkt ein in eine virtuelle Realität, kämpft gegen Zombies oder bewirft Pinguine mit Schneebällen.

Foto: Frank Pusch

Für diejenigen von uns, die diesseits der Realitätsgrenze stehen, sieht das alles ein wenig seltsam aus. Wir werden aber gleichermaßen gut versorgt, mit leckeren Getränken und einem feinen DJ-Set von PHIL. Sebastian erklärt uns auch, dass es an diesem Ort nicht nur um Gaming geht. Hier gibt es ein Gesamtpaket, auch für die Industrie. Mit VR-Escape-Rooms bietet er beispielsweise eine außergewöhnliche Teambuildingmaßnahme, in den Räumen finden außerdem Schulungen unter Einsatz von 3D-Brillen statt. Und wer doch mal keine Lust hat auf Virtualität, der schnappt sich einfach eines der bereitliegenden Brettspiele.

Wir werden jäh herausgerissen aus wilden Zombieträumen, Reiseleiter Peer ruft zum Aufbruch. Diese KLUB Reise neigt sich also dem Ende zu. Vollgepackt mit neuen Eindrücken, Grenzerfahrungen und einem bis auf die letzte Seite mit europäischen Flaggen zugepflasterten Reisepass fahren wir glücklich nach Hause. Und wir sind gespannt, wohin uns wohl die nächste KLUB Reise #11 führen wird.

Reisetagebuch: Lena Richter
Reisefotos: Frank Pusch (NORDAUFNAHME)
Reiseleitung: Peer Gahmert
Reise-Route: Marco Höhn (KLUB DIALOG), Katharina Rosen (Bremenlotsen)

Die Destinationen

Die Fotos

Die Veranstaltung

Datum: Freitag, 17. Mai 2019
Abreise: 18.30 Uhr
Treffpunkt: Kunsthalle Bremen
Reisegepäck: Einen Sack Mut, einen Hauch Naivität  und ein paar Groschen für den kleinen Durst

Die KLUB REISE #10 hat eine begrenzte Teilnehmerzahl. Eine Anmeldung lohnt sich also- schreibe uns an mitreisen@klub-dialog.de.

Der Stier ist ein kräftiges Tierchen. Noch kräftiger ist, wer es wagt, diesem an die Hörner zu fassen. Oder mutiger. Oder eher gutgläubig und naiv?

Wenn wir unser Lexikon der Mythologie aufschlagen, sehen wir ihn:
Als Minotaurus machte er eine ganze Insel unsicher (und unglücklich), als verwandelter Stier mopste der hormongesteuerte Zeus damals aber auch die schöne Europa. Der Stier ist also auch ein Zeichen für Fruchtbarkeit: wenn man die Geschichte von Zeus betrachtet, kann man das auch schnell nachvollziehen – Zeus hatte rund 65 Kinder von 37 Frauen, da ist ein gewisses Maß an Fruchtbarkeit sicher hilfreich.

Aber nicht nur in der griechischen Geschichte ist er zu finden. Der Stier ist zudem ein Sternzeichen. Laut diesem ist ein zwischen dem 21.4. und dem 20.5. geborenes Persönchen ausdauernd, beschützend und realistisch. Aber auch besitzergreifend, misstrauisch und stur.

Schauen wir einmal in unsere Stadt und stöbern. Nach Sturköpfen, Beschützern und Realisten. Wir schauen auf das große Ganze, dass über unsere Stadt- und Landesgrenzen hinweg wirkt und werkelt und eigentlich ein Ziel hat: Zusammen halten, was eigentlich zusammen gehört. Aber was, wenn jemand mit den Hufen ausschlägt und den Zusammenhalt verlassen will? Ist das dann der sturköpfige Stier oder das mutige Naivchen, dass die Hörner packt?

Am 17. Mai 2019 gehen wir wieder einmal auf die Reise. Wir entdecken etwas zwischen Trennung und Zusammenhalt, zwischen Mut und Naivität, zwischen einem Ich und einem Wir. Wir treffen uns um 18.30 Uhr an der Kunsthalle Bremen – der Rest wird nicht verraten.

Die NORDAUFNAHME kümmert sich  um die richtigen Reisefotos für´s Fotoalbum. Die Bilder sind nach jeder Veranstaltung auf www.klub-dialog.de zu finden. Unser Reiseleiter Peer Gahmert trägt Sorge, dass keiner im Nirgendwo zurückgelassen wird.

 

Auch diese aufregende Reise hat eine wundervolle Kooperationspartnerin, die mit Rat, Tat und allerlei inspirierenden Ideen an unserer Seite steht. Wir danken Katharina Rosen von den Bremenlotsen!

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