„Jede Bewegung ist richtig, darin liegt eine große Schönheit“ – KLUB DIALOG

„Jede Bewegung ist richtig, darin liegt eine große Schönheit“

Interview mit Tanztherapeutin Luisa Duvenbeck

Tanzen macht Spaß. Das kann wohl jeder bestätigen, der sich vor Corona an eine durchgetanzte Nacht in seinem Lieblingsclub erinnert. Aber Tanzen heilt auch. Wie das genau funktioniert, ob man sich bei einer Tanztherapie komplizierte Choreographien merken muss und inwiefern auch das Sofa in ihrem Kursraum eine wichtige Rolle spielt, hat das KLUB MAGAZIN im Interview mit Tanztherapeutin Luisa Duvenbeck erfahren. Seit über zwanzig Jahren lässt sie das Thema nicht los, ob beruflich oder privat bewegt sie sich am liebsten tanzend durchs Leben.

Wie bist du zu dem Thema Tanztherapie gekommen?

Eine Freundin von mir hat Bauchtanz getanzt und mich mal in einen Kurs in der örtlichen VHS mitgenommen. Dann bin ich im Studium bei einem Bildungsträger zu einem Kurs gekommen, der hieß „Aus dem Bauch tanzen“ und ich dachte mir, dass ich gerne wieder Bauchtanz tanzen würde. Dann war das aber etwas ganz Anderes, was ich gar nicht richtig benennen konnte. Ramona, die den Kurs geleitet hat, hatte eine Ausbildung in „Heilende Kräfte im Tanz“ (HKiT). Da war mir dann vor 26 Jahren ziemlich schnell klar, dass ich das auch machen will und dass ich anderen Menschen diese Räume eröffnen will. Seit 15 Jahren leite ich mittlerweile Gruppen mit dieser Methode und finde das immer noch toll. Es gibt kein Thema in meinem Leben, das mich so lange schon begleitet wie HKiT. Seit 5 Jahren bin ich damit hauptberuflich selbstständig unterwegs.

Foto: Barbara Bocks

Was bedeutet Tanzen für dich?

Mein Tanzbegriff ist sehr weit. Wenn ich meine einzelnen Finger bewege und bewusst hineinspüre, ist das für mich schon ein Tanz. Die anderen in der Gruppe und deren Bewegungen zu sehen und sich am Ende darüber auszutauschen, heilt auch schon. Da entsteht viel Verbindung, über die Einzelpersonen hinaus. Das ist das, was wir als Menschen wollen. Wir wollen uns nicht nur als Einzelpersonen wahrnehmen, sondern in der Gruppe und auch den Kontakt zum Großen und Ganzen haben. Tanzen bedeutet für mich auch Bewegung im Stehen, Liegen und Knien.

Auf welche Weise heilt Tanztherapie?

Wer tanzt, bringt seinen Körper in Bewegung. Tanztherapie geht davon aus, dass Themen, die im Leben nicht in Ordnung sind, ein Äquivalent im Körper haben. Wenn ich das in Bewegung bringe, fängt die Energie an zu fließen. Dann fühlen sich die Tanzenden kraftvoll, friedlich und in der Mitte und stärker im Leben. Durch Blockaden entstehen Krankheiten. Die Idee ist immer über das Hinspüren, über die Bewegung die Lebensenergie ins Fließen zu bringen und das heilt, meiner Erfahrung nach. Sich zu bewegen bringt Dinge im Leben in Bewegung, auch die Glaubens- und Verhaltensmuster und Emotionen.

„Sich zu bewegen bringt Dinge im Leben in Bewegung, auch die Glaubens- und Verhaltensmuster und Emotionen.“

Was ist das Besondere an der HKiT-Methode?

Die Methode basiert auf der Körperpsychotherapie. Viele andere Tanztherapien kommen aus dem Ausdruckstanz, beispielsweise sollen Tanzende da einen Baum oder ein Gefühl darstellen. In den Heilenden Kräften im Tanz lernen die Teilnehmerinnen, ihren Körper wahrzunehmen und Bewegungen aus sich heraus entstehen lassen. Andere müssen diesen Ausdruck nicht erkennen können.

Wie wirkt die Methode?

Tanzen an sich heilt. Jeder, der gerne tanzt, kann das bestätigen. Wenn in einem Kollektiv etwas nicht gut gelaufen ist, haben die Leute weltweit schon immer getanzt. HKiT nimmt das Wissen von alten Tanztraditionen und mischt es mit neuem psychologischem Wissen. Die Basis bei der Methode und das meine ich auch wirklich sehr ernst, ist, dass ich nur Angebote für Bewegungen mache. Die Teilnehmerinnen dürfen sich aber auch ganz anders bewegen, wenn sie wollen. Denn jede Bewegung, die entsteht, ist richtig. Darin liegt eine große Schönheit, da sie sich jederzeit auch von einer Bewegung überraschen lassen können, die nicht fest vorgegeben ist. In der fortlaufenden Gruppe, die sich alle 2 Wochen seit knapp 4 Jahren trifft, sagen die Tanzenden immer noch, dass es jedes Mal schön ist, zu hören, dass die Bewegungen keiner äußeren Form genügen müssen.

Inwiefern ist Freier Tanz schwieriger oder einfacher als eine Choreographie?

Das kommt ganz auf die Person an. Es gibt Leute, die mit freiem Tanz nichts anfangen können. Dann gibt es aber auch Leute wie mich, die bisher konsequent an jeglicher Tanzchoreographie gescheitert sind.

An wen richten sich deine Angebote?

Sie richten sich vorrangig an Frauen, die Lust auf Tanzen haben und mit Bewegung experimentieren möchten. Ich arbeite nicht nach Diagnosen. Auch wenn ich das könnte, ist das überhaupt nicht mein Ding. Was nicht schadet, ist ein bisschen Neugier und eine Bereitschaft, Ungewohntes auszuprobieren, wie das Tanzen auf dem Boden. Ansonsten muss man nichts können. Selbst mit einem gebrochenen Bein kann man an der Gruppe teilnehmen. Wenn wir andere Menschen sehen, die tanzen, reagieren unsere Spiegelneuronen darauf. Selbst wenn sich jemand nicht bewegen kann, kann die Person liegen und die anderen sehen und fühlen und der Körper bewegt sich innerlich mit.

Foto: Barbara Bocks

Was ist das besonders Schöne am freien Tanzen?

Ich unterscheide zwischen freiem Tanzen, bei dem ich gut im Kontakt mit mir bin, und freiem Tanzen, das einer äußeren Form genügen muss. Um bei sich selbst anzukommen, machen wir zu Beginn immer, bevor wir mit dem eigentlichen Tanzen beginnen, kleine Bewegungen im Sitzen, mit ein bisschen Stimme. Da kann freies Tanzen ganz anders entstehen, als einfach direkt loszutanzen. Wenn ich in meinem Körper angekommen bin, ist die Musik nur ein kleiner Impulsgeber und im Hintergrund. Das geht aber auch in der Disco. Solange ich bei mir bin, ist das Tanzen ein viel intensiveres Erlebnis. Ich kann jedem Körperimpuls nachgeben, den ich spüre. Das kann auch erschreckend sein am Anfang.

Wie emotional werden die Teilnehmerinnen in den Gruppen?

Wenn man körperorientiert tanzt, wird auch geweint, das ist ja völlig klar. Aber das Tolle ist, dass die Tanzenden voll in ihrer Handlungsmacht sind. Sie haben die Fähigkeit, Emotionen zu dosieren. Wem ein Gefühl in der Bewegung zu viel wird, der bewegt sich einfach weniger. Tanzen und Traumatherapie haben für mich viel miteinander zu tun, da Traumata immer Ohnmachtserlebnisse sind. Tanzen ist das Gegenteil davon und ist daher sehr heilsam. Selbstermächtigung heißt aber nicht nur sich zu bewegen, sondern auch sich zu entscheiden, sich einfach mal nicht zu bewegen, und dem nachgehen, was gerade stimmt. Ein liebevoller Raum, in dem die Teilnehmer experimentieren dürfen und auch alle fünf Sekunden ihre Meinung ändern können, hilft dabei, die Wahrnehmung für den Körper zu schulen. Das war für viele eine Revolution, sich während des bezahlten Gruppenabends einfach aufs Sofa zu legen. Ich finde Sofas ganz wichtig. Dieser Moment kostet oftmals eine große Überwindung, ist aber dann wirklich köstlich: die Musik läuft, die anderen sind da und man selbst kann einfach nur da sein, ohne sich zu bewegen. Auch in meiner Ausbildung habe ich viel Zeit liegend verbracht, einfach, weil mein Körper das in dem Moment brauchte. Generell gilt, je gespürter die Bewegung und Nicht-Bewegung, desto schöner.

Welche Themen gibt es sonst noch in deinen Workshops?

In den Gruppen beschäftigen wir uns auch mit Körperteilen wie Knochen, Organen oder Faszien. Ein weiterer Schwerpunkt sind Workshops mit Heilungstänzen beispielsweise aus den afro-brasilianischen Raum, bei denen ich diese Bewegungsmuster vorstelle, die die Teilnehmerinnen dann nachtanzen oder für sich anpassen können. Für mich beinhaltet Tanzen auch den Einsatz der Stimme. Der Atem darf hörbar sein.

Was macht dir am Gruppenleiten am meisten Spaß?

Irgendwann fängt die Bewegung bei allen an zu laufen und die ist dann irgendwann auch zu Ende. Dann gibt es diesen Moment, in dem wir der Bewegung nachspüren. Dadurch entsteht im Raum so eine Art kollektives Ausatmen. Das ist eine ganz besondere Stille, ein friedlicher und zeitloser Moment. Manchmal ist dieser Moment ganz früh da, manchmal erst später. Da passiert etwas, was viel größer ist, als was ich selbst anleite. So wollen Menschen sich begegnen. Das berührt ein zutiefst menschliches Bedürfnis nach gutem Kontakt, über den individuellen Moment hinaus. Ich habe irgendwann begriffen, dass ich für diesen Moment Gruppen leite. Aber auch der Rest macht mir viel Freude.

Gibt es diesen Moment auch in den Zoom-Gruppen?

Das, was ich eben beschrieben haben, braucht einen physisch geteilten Raum. Ich habe aber die abgefahrene Erfahrung gemacht, dass ein bisschen was davon auch in dem Online-Raum entsteht. Daher habe ich angefangen, die Zoom-Gruppen so zu leiten, dass die Gruppe spürbar wird und alle merken, dass sie ähnlichen Impulsen nachgehen. Der Grund für die Zoom-Kurse war der Lockdown. Das Natürlichste war, zu sagen, dass ich ein paar von den Sachen, die ich sonst anleite, online anbiete. Es hat gut funktioniert und es sind sogar Teilnehmer von vor 15 Jahren aus ganz Deutschland in meinen Zoom-Gruppen aufgetaucht. Und darüber habe ich mich sehr gefreut.

Wie bereitest du dich auf Online- oder reguläre Veranstaltungen vor?

Normalerweise habe ich die Leute vor mir und folge den Impulsen aus der Gruppe. Das ist bei Online-Veranstaltungen anders. Hier ist der Ablauf immer gleich, nur mit anderer Musik und ich biete hier die basalen Grundübungen an, die alle, die schonmal bei mir waren, kennen. Ich nehme auch die vertraute Musik und Übungen, um Vertrautheit herzustellen und die räumliche Distanz abzumildern

Welche Musik spielst du in den Workshops?

Es gibt viele Stücke, die ich sehr gerne spiele. Eins davon spiele ich schon seit zehn Jahren. Das ist ein alter Gipsy-Song in der Interpretation einer polnischen Band, die ich sehr schätze. Dazu mache ich das Tanzritual „Schleusen öffnen“. Den kennen inzwischen alle. Das ist total herzberührend und zeitlos. Ich schaue bei Musik immer, dass sie nicht so nervig ist und nicht zu viel Text hat und selten deutschen Text, weil der zu viel ablenkt. Ich will ja in den Körper führen. Ganz allgemein würde man die Musik, die ich spiele, in den Bereich World Music packen.

Tanzt du auch privat gerne?
Ich tanze total viel, seit ich Gruppen gebe, aber weniger alleine zuhause. Ich habe viele Jahre Swing und Lindy Hop getanzt und seit ein paar Jahren Tango Argentino um da auch als Paar in Kontakt zu kommen.

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