Gregor Runge ist kein Tänzer. Er hat Theaterwissenschaft und Komparatistik studiert. Trotzdem leitet er mit seiner Kollegin Alexandra Morales die Tanzsparte des Theaters in Bremen. Ich treffe Gregor auf der Probebühne der unusual symptoms. Hier entsteht der Tanz, für den Bremen schon ein klein wenig berühmt ist in Deutschland. Eine große Halle mit Fenstern. Ein spezieller Boden, weicher als Holz, aber härter als eine Matte. Ein riesiger Spiegel in dem ich mich selbst an einem Tisch sitzen sehe. Denn wir nehmen mitten auf der Probebühne auf. Den Podcast „die digitale Zeit“ für meine Firma. Dabei interviewe ich Gregor auch für diesen Text.
Gregor lebt in der Stadt, hat die Pandemie bis jetzt gut mit fokussierter Arbeit gefüllt und freut sich auf die ersten Proben und Lockerungen. Mag Bremen. Das Theater. Die Arbeitsweise.
Dann die Killerfrage: Was ist Tanz?
Die Einigung, es ist eine andere Form der Kommunikation. Ohne Worte, klar. Direkt. Geeignet für das zunehmend internationale Publikum in Bremen. Grenzenlos dadurch. Tanz vermittelt sich anders, nicht-sprachlich und triggert dabei etwas, das sonst wenig anderes schafft. Eine Hirnregion funkt, feuert und belohnt, die nicht wie sonst durch den bewussten Geist, sondern auf ganz andere Weise erreicht wird: Es ist der Moment des Erlebens mitten drin im Theater, rechts und links vergessend. Ein unsichtbares Band zwischen den Körpern, die sich fast mühelos bewegen und der eigenen Empathie dafür. Ein Körpergefühl für Bewegungen, die man selbst nie ausführen könnte, aber “versteht”. Ein Vergleich mit bildender Kunst, die nicht abstrahiert, sondern neues schafft. Einen neuen Kanal aufmacht. Wie der Tanz. Bilder, die neues schaffen, das nicht gesehen werden kann.
Er wird nicht als Wasserfall erdacht, definiert, diktiert, geprobt und dann dargeboten. Der Tanz von unusual symptoms ist das wahre agile Manifest. Jede ist ein Teil der Kreation, auf Augenhöhe mit der Choreografie, der Dramaturgie und dem Stück. Die Entstehung der Bewegung ist vergleichbar mit modernsten Methoden in anderen Bereichen. Ein Stück – ein Teamwork. Ein Workflow. So kann der Tanz zeigen, was passiert, wenn man es ernst meint mit agilen Konzepten, mit Augenhöhe und mit der tiefen Verbindung, die langjährige Zusammenarbeit schaffen kann. Das ist buchstäblich New Work am Tanztheater Bremen. Es entsteht eine Handschrift, die sich entwickelt, aber je nach Stück, Dramaturgie und Choreographie ganz anderes schreibt. Die Gruppe lässt sich nichts diktieren, tanzt aber trotzdem immer wieder neu.
Die Stücke sind sensationelle Erlebnisse jenseits einer medialer Erfahrbarkeit. Wer Polaroids oder Young Dogs do cry sometimes live gesehen hat, weiss was gemeint ist. Das ist pure Lust und Kraft. Ein Manifest aus Mosaiken und eine Performance. Wer Spektrum sieht und Coexist weiß, dass es auch ganz anders geht. Formaler, direkter und mit großer Geste.
Ein Gutes hat die Pandemie – hat sie doch die Grenzen des Digitalen gezeigt. Tanz kann man nicht erfahren, wenn man einen Film guckt. Oder einen Stream. Tanz kann man nicht empfangen ohne die Präsenz. Deshalb sind alle digitalen Modelle gut gemeint, aber wahrscheinlich aus heutiger Sicht ohne Erfolg. Oder zumindest ohne Wirkung.
Denn digitales Tanztheater ist möglich, aber sinnlos.
Das ganze Gespräch mit Gregor Runge jetzt im Podcast „die digitale Zeit“ hören: