Es ist Freitagabend mitten im Advent, 18 Uhr, es ist stockfinster. Vor der Kunsthalle wird ein blau glänzendes Gefährt gesichtet. Eine KLUB REISE ist geplant, ›Umme Ecke‹ lautet das Thema, also kann es ja so weit gar nicht gehen, oder? Wir werden sehen. Nun aber zackig in den Bus, die kalte Dezemberluft treibt die Reisefreudigen schnell ins Warme. Und schon geht es los!
Reiseleiter Peer Gahmert hat nämlich auch diesmal das Sagen und leitet bestimmt aber liebevoll den Freitagabend ein. Er klärt auf, was sich hinter dem mysteriösen Titel ›Umme Ecke‹ verbirgt und enthüllt, dass wir heute einiges über Urban Production erfahren werden. Urban Production, was genau ist denn damit gemeint? Peer reicht das Mikro an Kurator Marco Höhn weiter: Mehr und mehr Produkte werden lokal und direkt in der Stadt hergestellt. Urbanisierung schreitet voran und die Herstellung und Bearbeitung von materiellen Gütern wird zunehmend auch auf dicht besiedelte Gebiete verlagert. Häufig werden dabei auch lokale Ressourcen für die Produktion genutzt. Mit diesen Infos starten wir in den Abend und kommen unserer ersten Destination immer näher.
Zuallererst zieht es uns Richtung Überseestadt. Auf dem ehemaligen Kellogg’s Gelände werden wir von Michael Scheer freudig erwartet, der über urbane Landwirtschaft Bescheid weiß. Nach einigen Metern zu Fuß erreichen wir unser eigentliches Ziel: die Gemüsewerft. Michael führt uns raus aus der Kälte, rein in ein großes Gewächshaus, wo wir es uns auf Holzbänken bequem machen und erfahren, was es mit der Gemüsewerft auf sich hat.
An mittlerweile drei Standorten in Bremen bauen Michael und Team verschiedene Lebensmittel an und bringen dabei ganz unterschiedliche Leute zusammen. Obst, Gemüse, Kräuter, Pilze und auch Hopfen werden hier produziert. Angebaut wird alles, wozu das Team gerade Lust hat, frei aus dem Bauch heraus. Ab April werden zusätzlich auch Jungpflanzen zum Verkauf angeboten. Die Gemüsewerft produziert allerdings nicht nur Lebensmittel, sie ist gleichzeitig ein inklusiver Arbeitsplatz mit einem sozialen Auftrag. Unter dem Namen „Social Farmers“ kommen hier Menschen mit psychischen Erkrankungen, Behinderungen sowie Menschen ohne Beeinträchtigungen beim Gärtnern zusammen. Die Reisenden sind sich einig: ein großartiges Projekt!
Weiter geht’s, immer der Nase nach tuckern wir bis nach Findorff. Wir treten ein in Claudia Schreibers duftenden Laden, sie ist Inhaberin der Seifenmanufaktur Martha’s Corner. Claudia fertigt eigene Seife und Pflegeprodukte und verkauft diese seit zwei Jahren in ihrem eigenen kleinen Laden in der Münchener Straße. Nachdem sie sich intensiv mit Palmöl und den Inhaltsstoffen von Kosmetika beschäftigt hatte, entschied sie sich vor über zehn Jahren, feine Naturseifen in Handarbeit und ganz ohne Firlefanz zu produzieren.
Ohne Firlefanz meint den Verzicht auf künstliche Farb- und Konservierungsstoffe, Mikroplastik, künstliche Parfüme und natürlich Palmöl. In Martha’s Corner werden also Rohstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau unter fairer Produktion verwendet. So überzeugend der Prozess der Herstellung klingt, so ist auch das Fazit des Selbsttests einiger Produkte an Claudias Probierwaschbecken!
Von Neugier getrieben und um ihren Kunden immer wieder neue Produkte bieten zu können experimentiert Claudia immer weiter und feilt an ihren Rezepturen. Ihr Wissen teilt sie gern und bietet für Interessierte Siedekurse und Rührabende an.
Begeistert von so viel Leidenschaft steigt die Reisemeute in den Bus und nähert sich — zunächst in Schritttempo und dann ganz geschwind — der nächsten Station. In Schwachhausen angekommen öffnet uns Daniela Pataj-Vogt die Pforten zu ihrer Stieleis-Manufaktur FIEV SINN. Seit August 2019 kommen hier am Emmaplatz Produktion und Verkauf zusammen. Als echtes Familienunternehmen wird nach italienischer Gelato-Tradition hochwertiges, handgemachtes Eis am Stiel produziert.
Dabei verzichtet FIEV SINN vollständig auf Konservierungs-, Farb-, Aroma-, & sonstige Zusatzstoffe. Nach so vielen Informationen ist die Neugier natürlich groß — wie schmeckt das Eis denn nun? In kleinen Portionen hat Daniela verschiedenste Sorten ihres Gelato bereitgestellt und lässt die erwartungsvollen Reisenden probieren. Fazit: Schokoladen-, Duo- und Fruchteis am Stiel schmecken fantastisch!
Wir können kaum aufhören von Danielas leckerem Eis zu kosten, doch die letzte Destination ruft. Getreu dem Motto ›Umme Ecke‹ gehen wir gemütlich ein paar Meter weiter und spazieren schnurstracks in den benachbarten Laden von Bettina Luers und Barbara Mildner. In der Manufaktur am Emmaplatz widmen sich die beiden seit fast sieben Jahren der Aufbereitung von in die Jahre gekommenen Möbeln. Es gibt kein Möbelstück, das die beiden nicht kreativ herrichten, ihnen fällt immer etwas ein. Eine Auswahl der bearbeiteten Stücke lassen sich in der Manufaktur bestaunen, einige stehen zum direkten Verkauf bereit.
Die Manufaktur am Emmaplatz ist aber nicht nur Werkstatt — die Inhaberinnen bieten auch diverse Workshops an, in denen sie ihr handwerkliches Wissen weitergeben. Und nun gibt es für die Reisemeute nicht nur leckereren, wärmenden Glühwein, sondern auch etwas zu tun: An einem langen Tisch versammelt stehen Schüsseln mit Wasser, Schwämme und Fliesen bereit. Wofür? Fliesenverschönerung mit der Foto-Transfertechnik. Vorsichtig werden mit dem befeuchteten Schwamm jeweils unterschiedliche Motive auf den Fliesen zum Vorschein gebracht — viele schöne Andenken an die KLUB REISE #12!
Nach einem letzten Schluck Glühwein lassen wir den Abend gemütlich ausklingen. Wir verabschieden uns mit vielen neuen Eindrücken und Begeisterung für die tollen Projekte in unserer Nachbarschaft. Bis bald bei der KLUB REISE #13!
Reisetagebuch: Maja Ehmen
Reiseleitung: Peer Gahmert
Reise-Route: Marco Höhn
Datum: Freitag, 13. Dezember 2019
Abreise: 18:00 Uhr
Treffpunkt: Kunsthalle Bremen
Reisegepäck: Ein Säckchen Entdeckerlust, eine Prise Aberglaube und ein paar Groschen für den kleinen Durst
Anmeldeleitung: mitreisen@klub-dialog.de
Urbanität wuchert, Räume verdichten sich. Wo Vieles gedeiht, näher zusammenrückt und sich konzentriert ist Weite plötzlich Trumpf. Aber genau an dieser Stelle, dort wo Fläche zur wertvollen Ressource wird, da wachsen und sprühen auch sie: die Ideen, guten Einfälle und Möglichkeiten, die den Traum von einem guten Miteinander greifbar werden lassen. Werken und Leben in Harmonie, gute Luft zum Durchatmen und Nähe zu dem, was irgendwann einmal im Einkaufskorb landet.
Lasst uns am 13. Dezember gemeinsam herumstreunen und uns gegenseitig friedlich um die Ecke bringen: auf kurzen Wegen, auf weiter Distanz und letzten Meilen schauen wir mal nach, was unser Umfeld an Fruchtbarkeit, Wertschöpfung und Beweglichkeit so zu bieten hat. Kommt ihr mit?