Warum haben Waschmaschinenmonteure, Bürokräfte oder Lehrer Zugang zu Arbeitslosengeld, Kranken- und Sozialversicherung – viele Fotografen, Tänzer oder Kulturvermittler aber nicht? Die Bremer Kulturmanagerin Gabriele Koch hat gemeinsam mit Magda Ziomek-Frackowiak SMartDe gegründet, eine Genossenschaft für Selbstständige mit Büros in Bremen und Berlin. Sie will die Arbeitsbedingungen von Kreativen in Deutschland verbessern und für eine Lobby sorgen. Inzwischen gilt das Modell als ein Vorreiter für „Arbeit 4.0“.
Bei Kreativen geht die Arbeitsrealität oft weit am gesetzlich Vorgesehenen vorbei. Ein Beispiel: „In viele Formulare passt nicht rein, dass man zugleich angestellt und freiberuflich ist“, sagt Gabriele Koch. Das ist für viele Selbstständige, besonders in den kreativen Berufen, aber gang und gäbe. Nicht nur die öffentliche Verwaltung, auch die Gewerkschaften haben in erster Linie die lebenslange Festanstellung vor Augen.
Gabriele Koch kennt die praktischen Nöte der Kreativen: Sie leitet seit vielen Jahren unter anderem das Straßentheaterfestival La Strada, das Theaterkontor in der Schildstraße und ein Miniaturenprojekt. „Bestechend“ fand sie es deshalb, als sie durch belgische Künstler auf das Modell einer Genossenschaft aufmerksam wurde: „Da war plötzlich ein Ort, wo man mit allen Fragen hingehen konnte, die man als Kreativer hat. Man wurde verstanden und da gab es Lösungen.“
Bestechend fand Koch auch, wie viele Künstler in Belgien SMart bereits nutzen. Jeder von ihnen war gleichberechtigter Teilhaber dieser Solidargemeinschaft, die Menschen mit gleichen Interessen zusammenführte. Die in Verbandsarbeit erfahrene Kulturmanagerin baute die deutsche Variante SMartDe auf. Die startete im Dezember und hat inzwischen über 200 Genossen: „Wir schauen bei Jedem, wie ist das professionelle Angebot, wie steht derjenige da und wie kann man dessen Situation verbessern.“
Die Organisation übernimmt Aufgaben, für die sich viele Kreative nur wenig begeistern können: Rechnungen schreiben, Mahnungen ausstellen, Sozialversicherungen planen. Zum Teil geht die Genossenschaft mit seinem Solidaritätsfonds auch in finanzielle Vorleistung. Bei SMartDe können sich Kreative anstellen lassen, auf Wunsch auch nur projektbezogen. Sie können gleichzeitig weiter freiberuflich arbeiten, wenn das sinnvoll ist.
„Wir nehmen Kreativen die Arbeit ab, die nicht zu ihren Kernkompetenzen gehört“, erklärt Gabriele Koch. „Wir begleiten sie in ihren Projekten und bieten eine sehr kleinteilige Beratung, bis zu jedem Bon!“ Die Genossenschaft vermittelt zwischen Auftraggebern und Kreativen. Das „virtuelle Produktionshaus“, wie Koch es nennt, schafft Kontakte innerhalb der Gemeinschaft, eine Vermittlungsagentur für Aufträge ist es aber nicht.
Betreut werden die Genossen von Bremen aus, wo Gabriele Koch sitzt, und Berlin. Sechs Experten gehören zum Team, die alle aus dem kreativen Bereich kommen, mehrsprachig sind oder sich mit internationalen Angelegenheiten für Künstler – Visa, Zölle, internationale Rechnungstellung – auskennen.
Die Einkünfte sind das Dauerthema in der Beratungsarbeit von Gabriele Koch. So manche Aufträge oder Förderprogramme ermöglichen Kreativen kaum ein auskömmliches Leben. Koch fragt sich, was es über eine Gesellschaft aussagt, wenn die Bezahlung für kreative Leistungen am unteren Ende der Honorarskala liegt.
Zum Teil ist die Not selbstgemacht, denn Kreative arbeiten oft in Leidenschaftsprojekten. „Weil sie es so gerne machen, sind sie bereit, für weniger zu arbeiten“, beschreibt Gabriele Koch die Situation. Hinzu komme der hohe Innovationsdruck: Es gibt immer Jüngere, die nachdrängen und günstiger sind. Doch bei aller Leidenschaft müsse jeder Kreative eben auch einen realistischen Preis für seine Leistung kalkulieren, zu dem neben Computer und Arbeitsraum auch Rücklagen für Krankheitstage und Investitionen gehören. Kreative seien außerdem oft Individualisten und nicht gut darin, sich eine Lobby zu schaffen. „Sie brauchen eine solidarische Gemeinschaft“, ist Gabriele Koch überzeugt.
Das Denkmodell von SMartDe ist mittlerweile bei politischen Diskussionen über neue Arbeitsmodelle gefragt, zum Beispiel beim Bundeswirtschaftsministerium. Die Organisation hat auch einen guten Überblick, was international passiert, denn sie ist inzwischen in acht europäischen Ländern vertreten. Daran will Gabriele Koch lernen, wie sich hier die Situation der Kreativen verbessern lässt: „Wir finden spannend, was mit dem deutschen Rechtssystem geht.“
Die Kulturmanagerin ist skeptisch, ob es bei der aktuell wachsenden Zahl von Kopfarbeitern tatsächlich sinnvoll ist, allein das „Hohelied auf die Freiberuflichkeit“ zu singen. Vorangegangene Generationen hätten Errungenschaften wie Mindestlohn, Arbeitslosengeld, Sozial- und Rentenversicherung hervorgebracht. Wäre es wirklich klug, ein solches Generationen- und Solidarmodell abzuschaffen? Gabriele Koch findet, dass jeder kreativ Selbstständige und Projektarbeiter zumindest die Wahl haben sollte und bietet als eine Variante die Genossenschaft an.
SMart steht für Société Mutuelle pour artistes und wurde 1998 in Belgien gegründet. Im Prinzip kann jeder Selbstständige zu SMartDe kommen. Der Fokus liegt aber auf Kreativen, weil die Experten selber aus diesem Feld kommen. Sieben Prozent dessen, was ein Genossenschaftsmitglied in seinem Projekt umsetzt, gehen als Servicegebühr an SMartDe.