Ein außerordentlich beherrschter Flugkapitän landete am 15. Januar 2009 einen Airbus durch eine Notwasserung auf dem Hudson River mitten in New York. 155 Passagiere waren an Bord, es gab nur wenige leicht Verletzte. Wie der Pilot diese glückliche Landung schaffte? Er hatte intensiv trainiert, unter Zeitdruck komplexe Entscheidungen zu treffen. Dieses Wissen aus dem Cockpit will die Bremer Firma PRO TOURA GmbH in enger Zusammenarbeit mit der Lufthansa Aviation Training unter der Marke A2B nun auch Führungskräften vermitteln. Am Bremer Flughafen stehen ein Flugsimulator – das Originalcockpit eines Airbus A320, einer ehemaligen Air France-Maschine – sowie sechs Flugsimulatoren in der Verkehrsfliegerschule. PRO TOURA-Geschäftsführer Walter Drasl war Flugkapitän und bietet seit über 20 Jahren für Privatpersonen Erlebnisflüge in den professionellen Simulatoren der Lufthansa an: „Ich kenne beide Welten, die der Unternehmen und die professionelle Welt des Cockpits, und wollte eine Brücke bauen.“ Ein schlechtes Image kann sich keine Fluglinie leisten. Obwohl Fliegen der sicherste Transportwege ist, wirken Unfälle in der Öffentlichkeit besonders dramatisch. Studien, die die dramatischen Flugunfälle der Vergangenheit untersucht hatten, kamen zu dem Schluss, dass diese zu 70 Prozent durch menschliche Faktoren verursacht wurden.
Folgerichtig trainieren die Airlines seitdem den „Faktor Mensch“. Viele Fluglinien haben ihre Unternehmenskultur gründlich gewandelt. „Es gibt nicht mehr den Flugkapitän, der als Halbgott mit vier Streifen am Ärmel einsam Entscheidungen trifft“, betont der ehemalige Pilot Drasl. Als langjähriger Fluglehrer hat er an der Lufthansa Flugschule Kandidatinnen und Kandidaten für die Pilotenausbildung mit ausgewählt und weiß welche Kriterien heute gelten: Sie müssen teamfähig sein, mit Kritik umgehen können und Feedback geben.
Von den speziell für die Luftfahrt entwickelten „Crew Ressource Management-Trainings“ sollen mit Walter Drasls Angebot auch andere Unternehmen profitieren können. Vor vier Jahren überzeugte er Lufthansa Aviation Training, diese Idee gemeinsam zu realisieren. Diese Seminare können nun auch in Bremen stattfinden. Dabei sollen die Teilnehmer lernen, in komplexen Situationen zielsicher zu entscheiden, mehr Führungspersönlichkeit zu zeigen und Mitarbeiter zu motivieren. Aktive Piloten leiten je nach Gruppengröße Workshops in dem Cockpit am Flughafen oder in den Simulatoren der Lufthansa Flugschule.
Das Szenario ist realitätsnah: Während die Teilnehmer ihr Flugzeug von Bremen nach Stuttgart steuern meldet der Kabinenchef: „Der Ofen der Bordküche brennt!“ Nun heißt es, blitzschnell und zielorientiert Entscheidungen zu treffen. Dabei hilft den Management-Flugschülern das FORDEC-Modell, das international in der Luftfahrt, von der NASA und zunehmend auch in der Schifffahrt eingesetzt wird.
Das Prinzip ist: Alle Fakten sammeln, alle Handlungsmöglichkeiten betrachten, alle Risiken abschätzen und schließlich die Option mit der besten Aussicht auf Erfolg wählen. Dann müssen klare Aufgaben und Zuständigkeiten verteilt werden. Der letzte Check kann ergeben, dass der Prozess aufgrund neuer Fakten neu gestartet werden muss.
Die simulierte Gefahrensituation verschafft den Trainingsteilnehmern nicht nur vor Anstrengung hochrote Köpfe und feuchte Flecken unter den Armen. „Da schmilzt der Bleimantel um die Seele und das Seminar ist ein anderes“, hat Walter Drasl festgestellt. „Dann sind die Teilnehmer offen für Austausch.“
Und der ist wichtig, denn erfolgreich ist eine Bord-Crew nur dann, wenn sie moderne Verhaltensnormen verinnerlicht hat. Die Mitglieder müssen eindeutig und offen über Hierarchiegrenzen hinweg kommunizieren. Jeder im Team soll bei Zweifeln eingreifen und jedes ungute Bauchgefühl ansprechen. „Wir schätzen jedes Crew-Mitglied“, betont Drasl. „Denn das Team mit all seinen Ressourcen ist leistungsfähiger als das Individuum.“
Solche Methoden sorgen dafür, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die handelnden Personen, die Unternehmensführung und damit in das gesamte Unternehmen entsteht. Zu den Trainings kommen Vertreter aus ganz verschiedenen Branchen: Chirurgen, Anwaltskanzleien, technologisch orientierte Unternehmen oder auch Bauunternehmen. Nicht alle arbeiten zeitkritisch. Einige haben mit Schnittstellenproblematiken zu tun und müssen viel kommunizieren.
Fehlentscheidungen gibt es natürlich auch in der Luftfahrt noch. „Wir sind Menschen und machen tagtäglich Fehler“, sagt Drasl. „Das muss man gerade in Unternehmen erstmal akzeptieren.“ Die Fluglinien haben das getan. Fehler werden hier nicht sanktioniert, sondern nüchtern analysiert und öffentlich gemacht. Nach dem Motto: Teile deine Erfahrungen, damit andere davon lernen können. Das ist vielleicht die wichtigste Lektion, die die Trainingsteilnehmer aus dem Cockpit mitnehmen können.
Dieser Beitrag erschien zuerst in Wirtschaft in Bremen und Bremerhaven.