Pop- und Rockmusik – KLUB DIALOG

Pop- und Rockmusik

Ein Synonym für Rebellion, Aufbegehren, Veränderung und Suche nach Freiheit?

Diese Annahme war immer schon zwiespältig. Denn anders als Bob Dylan war beispielsweise Elvis nie Herr seines Images. Er war der Elvis, den sein Management, Colonel Tom Parker, aus ihm machte. Und trotzdem war er in seiner Zeit ein Symbol der Rebellion.

Foto: Friedel Muders

Der Kampf zwischen der kulturvermarktenden Musik – oder auch der Filmkonzerne – setzt sich seit den 1960er-Jahren bis heute fort und produziert auch immer wieder Einzelkämpfer, die nicht vollständig in den Dienst der industrialisierten Massenpopkultur integriert werden können und Bilder des Rebellischen erzeugen.

Gesellschaftliche Wandlungen treten allerdings nur auf, wenn Emotion und Theorie zusammen kommen. So hat die westliche Gesellschaft diese Neuerungen nicht in einem Tag, in einer Woche, sondern über Jahre erfahren, bis diese Veränderungen im Ganzen von der Gesellschaft getragen wurden. Und immer war die Kultur besonders mit der Musik emotionaler Ausdruck dieser Veränderungen.

Bis Anfang der 1990er-Jahre erfolgte die Sozialisation vieler Jugendlicher durch Rockmusik, verbunden mit der Mode des „anders Aussehens“, was der äußere Ausdruck des Widerstandes gegen den Mainstream war. Progressive Popkultur war immer eine utopische Sinnsuche: im Rock’n’Roll, in der Literatur, im Kino. Die Suche, die Abkehr vom Alten (Kriegs-, Elterngeneration) und das Entstehen des Neuen (Beat-Generation, Wohngemeinschaften, Drogen, etc.). In den 1980er-Jahren wandelte sich dies in radikale, nihilistischen Irrwege (Linke, RAF). Insbesondere hieraus entstanden neue soziale Bewegungen mit diskursiver Nachdenklichkeit und komplexen Strukturen im Geschlechter- und Ökologie-Diskurs. Die große Pop-Revolution wurde zu Subkulturen, Genres und Szenen. Einige von ihnen wurden mit sozialen Bewegungen assoziiert – mit Ökologie, Feminismus, Homosexuellenbefreiung, der Friedensbewegung und weiteren.

Dass Pop heute nicht mehr den Mut, die Wut und die Fantasie der Entstehungsjahre bietet, führt zu der Frage: Was ist denn heutzutage eigentlich revolutionär? Pegida kann es nicht sein, das ist klar. Aber es gibt Vieles, von dem wir uns befreien könnten. Nur das, was befreit werden muss, ist unsichtbar und verschwommen und eher mit Verzicht behaftet. Die Familie? Die Schule? Die Unis? Die Arbeitswelt? Die Gesellschaft? Wofür? Womit? Wohin? Was ist die Alternative? 
Kultur zwischen Anspruch und Hilfslosigkeit!

Foto: Friedel Muders

Doch wer glaubt, dass heute in der Musik, in der Kunst, im Film und im multimedialen Bereich nichts Aufregendes mehr passiert, der hat sein Zeitbudget ausgeschöpft und die neuen Ausdrucksformen verpasst, die es zuhauf im Internet zu entdecken gibt – nur das breitere Publikum fehlt. Wo sich auf der einen Seite Kraftwerk im Museum wiederfindet und Einstürzende Neubauten im Hochkulturtempel der Elbphilharmonie aufspielen, darf man nicht vergessen, dass junge Musiker und Künstler heutzutage Social-Media-Experten, Web-Programmierer, Video- und Fotografen, Bookingagenten und Toningenieure in einem – kurz gesagt Allroundtechniker – sein müssen, um sich als DIY-Selbstvermarkter mit ungebrochener Emsigkeit zu präsentieren.

Die Großkonzerne der Musikindustrie leben inzwischen hauptsächlich von den Streamingdiensten und ihren endlosen Backkatalogtiteln der letzten 70 Jahre. Daneben stellen sie sich als internationale Dienstleister weltweit zur Verfügung. Und doch hat die ehemals mit viel Hoffnung besetzte Euphorie des Internets als Medium der Demokratisierung durch die schiere Menge an Veröffentlichungen in allen Bereichen von Literatur, Film und Musik inzwischen alle Kanäle verstopft.

Hat in den alten Zeiten noch der Popkritiker in der Spex und im Rolling Stone oder der Radioredakteur fürs ungeliebte Formatradio die Vorauswahl getroffen, so bestimmt heute die Datenanalyse des Streamingdienstes die Musik- oder Filmauswahl. Alexa empfiehlt dir deine individuelle Playlist und du bekommst das, was es von dir weiß. Und wer da als Musiker in der Playlist nicht dabei ist, ist raus. Denn fast ausschließlich hierüber lassen sich die Millionen Plays generieren, die zu einem relevanten Betrag der Mikropayments für die Musik führen.

2017 war das meistverkaufte Album „Divide“ von Ed Sheeran mit 6,1 Millionen Einheiten. 2018 erreichte kein Künstler-Album mehr vergleichbare Verkaufszahlen. Mit noch 3,1 Millionen Stück war die Filmmusik von „The Greatest Showman“ das weltweit meistverkaufte Album 2018. Das, was mit „Sergeant Pepper“ 1967 als Gesamtkunstwerk begonnen hat, erreicht durch die neue Form der Musiknutzung über die digitalen Medien sein Ende. Das Album als Erscheinungsform wird es weiter geben, aber es hat seine Schlüsselfunktion verloren. Und für junge Künstler war es noch nie so leicht, sich weltweit zu präsentieren und gleichzeitig so schwer, von der eigenen Musik, Kunst oder dem eigenen Geschreibe zu leben.

Foto: Carles Rabada on Unsplash

Wir sehen also nicht nur den Spielfilm, das Rock-Album, den Comic oder die aussterbenden Zeitungen, sondern erleben auch die unerfahrene Suche nach neuen Überlebensstrategien, nach Anpassungsformen, nach neuen Verbindungen in allen Bereichen. Das ist nicht leicht. Einerseits ändern sich Ästhetik, Aussehen und Funktion nicht notwendigerweise gleichzeitig. Andererseits wirkt sich das Verschwinden der ehemaligen „Schlüsselmedien“ für liberale, demokratische und mehr oder weniger rebellische Jugendliche in westlichen Gesellschaften nicht nur auf Medien, Sprachen, Instrumente, Techniken und Szenen aus – es betrifft die Menschen vielmehr als Ganzes.

Hoffen wir, dass den jungen Menschen ihre Träume, Fähigkeiten und ihre Neugier bleiben. Damit sie, wenn es notwendig ist, genug Kraft haben zu rebellieren für eine freie Gesellschaft im Dienste allgemeiner Erneuerung und Befreiung. Und dass sie den Spaß bei all dem nicht vergessen!

Der Autor:

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