Auf einem Namensschild steht „Matilda“. So heißt der Orangenbaum von Manuela, benannt nach ihrer kleinen Tochter. Die Zitruspflanze steht aber nicht im Garten ihres Hauses in Bremen-Walle, sondern im Orangenanbaugebiet in der Nähe des spanischen Valencia. Die Ernte übernehmen die Profis von Naranjas del Camen.
Manuela hat mit der Plantage nahe der Kleinstadt Bétera eine Orangenbaum-Patenschaft abgeschlossen. Die Geschwister Gabriel, Gonzalo, Fernando und Patricia Urculo versuchen, mit ihrem Modell die Landwirtschaft neu zu erfinden: Angebaut wird nur das, was bereits einen Abnehmer hat. Manuela bekommt von Anfang Januar bis Mitte April 80 Kilo Orangen geliefert, frisch gepflückt und per Kurier drei Tage später zugestellt.
„Crowdfarming“ nennen die Urculo ihre Art der Landwirtschaft 2.0. , die sie auf besonders kreative Weise online vermarkten. Den Begriff haben sie sich sogar markenrechtlich schützen lassen. Beim kreativrendezvous von Handelskammer, WFB und KLUB DIALOG haben sich Gonzalo Urculo, 31 Jahre, und Lena Manz, 26 Jahre, mit Manuela Weichenrieder zum Skype-Interview getroffen. Gonzalo ist einer der Gründer von Naranjas del Carmen, Lena ist verantwortlich für das internationale Marketing.
Was heißt denn eigentlich Crowdfarming?
Gonzalo: Beim Crowdfarming geht es in erster Linie um eine neue Art der Produktionskette, die keine Verschwendung von Lebensmitteln mehr verursacht. Die aktuelle landwirtschaftliche Produktion ist unglaublich ineffizient.
Lena: Unser Ziel ist es, nur das anzubauen, was der Kunde auch wirklich verbraucht. Außerdem möchten wir ganz Europa mit den besten und ökologischsten Früchten versorgen.
In der Agrarregion Valencia werden jährlich mehr als drei Millionen Tonnen an Orangen und Apfelsinen pro Jahr geerntet. Der Produktionspreis übersteigt dabei den Preis erheblich, den die Großhändler aufgrund von landwirtschaftlicher Überproduktion und Wettbewerbsdruck der internationalen Supermarktketten zu zahlen bereit sind. Der spanische Bauernverband AVA hat einen Vergleich aufgestellt: Ein Bauer erhält für sechs Kilo Orangen gerade einmal so viel, wie ein Kaffee kostet – 1,20 Euro.* Viele Landwirte geben auf.
Eure Idee, wir machen Crowdfarming und schicken, na sagen wir mal, 25 Kilo Orangen zum Beispiel nach Lüneburg, klingt ja ziemlich verrückt. Was war denn der Startschuss dafür?
Gonzalo: Ich habe in Berlin gelebt und dort Orangen gekauft, aber die waren überhaupt nicht frisch – dafür aber sehr teuer. Also habe ich meiner Mutter gesagt: Kannst du mir bitte fünf Kilo Orangen von Opas Plantage schicken?
Orangen, darum ging es ursprünglich keinem der Urculo -Geschwister. Von Architektur und Industriedesign über Betriebswirtschaft und Jura bis hin zu Musik durchliefen sie ganz unterschiedliche Studiengänge. Der Großvater starb im Jahr 2000. Zehn Jahre lang lag die Plantage brach. Als sie von Gabriel und Gonzalo Urculo im Jahr 2010 übernommen wurde, drängte sich die Frage auf: Was wird aus der Orangenplantage, die einst der Großvater angelegt hatte?
Ihr habt dann also die Plantage quasi in die Hände derer gegeben, die die Orangen essen wollen?
Lena: Ja, die Leute adoptieren einen Baum, der tatsächlich gepflanzt wird. Und sie geben ihm einen eigenen Namen.
Gabriel und Gonzalo Urculo entwickelten den Plan: Die Plantage sollte auf ökologischer Basis weitergeführt werden. Der Vertrieb sollte ohne Großhändler direkt an den Kunden erfolgen. Crowdfarming, also die Kombination aus Erzeugerpatenschaften und Internethandel, sollte für eine sichere finanzielle Basis sorgen.
Welche Anfangsschwierigkeiten und Lerneffekte hat es gegeben? Wo musstet ihr nachsteuern?
Gonzalo: Der Start war natürlich mühsam. Eine der größten Herausforderungen war definitiv die Logistik. Wir waren zwar nicht die ersten, die Orangen online an Endkonsumenten verkaufen, aber die ersten, die das europaweit gemacht haben. Am Anfang war es daher ein kontinuierlicher Prozess aus Ausprobieren und Verbessern. Das ist teilweise heute noch so, denn wir lernen als junge Landwirte ständig dazu. Zu Beginn wurden wir von vielen, vor allem konventionell arbeitenden Orangenbauern, für unsere Idee belächelt.
Genossenschaftliche Landwirtschaft ist nicht neu. Bei Naranjas del Carmen trifft der Zwang zur Neuorientierung in der landwirtschaftlichen Produktion auf Zeitgeist: Immer mehr Menschen sind bereit, über Crowdfunding – also Schwarmfinanzierung – ideelle Projekte zu unterstützen. Viele wollen sich von der ökologischen Qualität ihrer Lebensmittel selbst überzeugen. Und für den gesunden Genuss mit gutem Gewissen sind sie auch bereit, mehr Geld zu bezahlen.
Wie verändert das die Gesellschaft?
Gonzalo: Das Ziel am Anfang war nur, von der Landwirtschaft leben zu können.
Lena: Mit dem Crowdfarming binden wir die Menschen wieder mehr an die Lebensmittel. Es fällt doch leichter, Obst und Gemüse in die Abfalltonne zu werfen, wenn man nicht weiß, woher es kommt. Wer aber eine Patenschaft für einen Baum übernommen hat, der hat eine besondere Verbundenheit zu den Produkten.
Wer sind eure Kunden – eher jüngere oder ältere Menschen?
Lena: Unsere Kunden kommen vor allem aus Deutschland, und das landesweit. Ich denke in Deutschland ist unter anderem das Bewusstsein für die Herkunft und die Anbau- beziehungsweise Produktionsweise der Lebensmittel schon sehr weit fortgeschritten und kritisch. Hinzu kommen auch noch diverse Veröffentlichungen in deutschen Medien. Obwohl wir wenige statistische Kundendaten erheben, bekommen wir natürlich durch den direkten Kontakt ein gutes Gefühl für sie. Unsere Kunden sind tendenziell über 30 Jahre alt, Familien, Paare, Einzelhaushalte, Freunde, die sich zusammenschließen oder Großeltern, die für ihre Enkel einen Baum pflanzen. Also wirklich ganz bunt gemischt.
Das Team von Naranjas del Carmen weiß, wie es seine Kunden erreicht: über Authentizität. Jeder Orangenbaumpate kann sich im virtuellen Garten vom Gedeihen seines Schützlings überzeugen. Wer will, kann ihn auch direkt auf der Plantage besuchen. Auf der Internetseite erzählt die Urculo -Familie selbst über ihren Betrieb und nimmt die Betrachter auf die Reise in die sonnige Orangenplantage mit.
Das Design eurer Website ist sehr ansprechend. Eure E-Mails kommen immer sehr schnell und sind äußerst freundlich. Wie transportiert ihr eure Haltung auch über eure Kommunikation?
Lena: Wir möchten Transparenz in die Produktionskette unserer Lebensmittel bringen und dass die Menschen wissen, wer sich um ihren Baum oder ihre Bienenfamilie kümmert. Für uns ist es wichtig, sie in unser tägliches Arbeiten mit einzubeziehen und sie über die Höhen und Tiefen der Landwirtschaft auf dem Laufenden zu halten. Das versuchen wir über unsere Website, den direkten E-Mailkontakt und unsere sozialen Netzwerke zu erreichen. Die Menschen sollen das Gefühl bekommen, ein Teil der Familie zu sein. Daher ist auch unser Umgangston sehr persönlich. Das duzen hat zum Beispiel auch sehr viel mit der spanischen Mentalität zu tun.
Zur Familie zählen die Gründer auch ein internationales Team aus Ingenieuren, Arbeitern, Designern, IT-Entwicklern und Imkern. Insgesamt 25 Personen aus Spanien, Frankreich, Rumänien, Deutschland, Kolumbien, Polen und Venezuela arbeiten bei Naranjas del Carmen.
Wie wirtschaftlich erfolgreich ist das Modell „Crowdfarming“ inzwischen?
Gonzalo: Bevor wir unsere Orangen direkt an den Endverbraucher geschickt haben, konnten wir eine Person fest auf der Plantage anstellen und haben rote Zahlen geschrieben. Wir haben nun die komplette Lieferkette auf den Kopf gestellt. Dank des Crowdfarmings können nun 25 Familien von der Arbeit auf der Plantage leben und wir machen genug Gewinn, um nachhaltig wachsen zu können. Die Belohnung bzw. der Erfolg unseres Ansatzes liegt also nicht nur darin, Geld zu verdienen, sondern wieder langfristige und sichere Arbeitsplätze in der Landwirtschaft zu schaffen.
Mittlerweile haben die Plantagenbetreiber von Naranjas del Carmen 6200 Orangenbaum-Patenschaften vermittelt. Der Betrieb liefert in insgesamt 21 verschiedene Länder. Schritt für Schritt entwickeln die Betreiber das Modell Crowdfarming weiter: Inzwischen können Patenschaften für Bienenfamilien übernommen werden. Auf diese Weise gelangt nicht nur Honig aus Orangenblüten zum Beispiel nach Norddeutschland, sondern die Bienen leisten einen Beitrag zum Erhalt des Ökosystems der Plantage. Nachhaltig eben.