Waschen, schneiden, föhnen. Und was noch? Reden! An kaum einem anderen Ort wird wohl so viel gequatscht wie im Friseursalon. Vier Bremer Friseurinnen erzählen von Geheimnissen, Small-Talk und Schicksalsschlägen.
„Ich glaube, es tut einfach gut, mit einer vertrauten, aber nicht nahestehenden Person über bestimmte Themen zu reden“, sagt Friseurin Silvia Rautenhaus, die seit mehr als 20 Jahren bei Frisör am Theaterplatz im Ostertorsteinweg arbeitet. „Man ist ja ein neutraler, unparteiischer Gesprächspartner. Es entsteht hier im Salon quasi ein geschützter, fast anonymer Raum, in dem Menschen Dinge loswerden können, die sie im Familien- oder Freundeskreis vielleicht nicht besprechen können.“
„Die meisten reden erst einmal über Oberflächliches wie den letzten Urlaub, ihren Job, das Wetter oder Feste, die anstehen“, erzählt Sibel Agir. Die 31-jährige ist Inhaberin des Salons Coiffeur Creatival, der im Untergeschoss des legendären Bremer Park Hotels untergebracht ist. „Bei der Mehrheit meiner Kunden bleibt es bei diesen nicht allzu persönlichen Themen. Meine Stammkunden sprechen aber auch über Privates. Das sind familiäre Angelegenheiten, Krankheiten aber oftmals auch Dinge, die ich gar nicht unbedingt wissen möchte. Sexuelle Vorlieben zum Beispiel oder Fremdgeh-Geschichten, bei denen man die beteiligten Personen kennt. Man erfährt manchmal sehr diskrete Dinge, die man unbedingt für sich behalten muss.“
Lisa Hardtke und Miriam Engelhardt bedienen in ihrem Salon UBEO in der Hamburger Straße fast ausschließlich Stammkunden: „Das macht einen riesigen Unterschied, denn man knüpft immer wieder an vorherige Gespräche an“, sagt Hardtke. „Unsere Kunden kommen teilweise seit sieben Jahren alle paar Wochen. Da ist das Verhältnis schon sehr eng. Man weiß was gerade in deren Leben passiert, kennt Kinder und Freunde. Und obwohl man sehr vertraut ist, bleibt trotzdem eine natürliche Distanz. Im Grunde so wie bei einem Therapeuten.“
„Man erfährt auch skurrile Dinge“, ergänzt ihre Kollegin Miriam Engelhardt. „Ich hatte mal einen Kunden, der eine riesige Sammlung Gasmasken zu Hause hatte. Oder eine Kundin, die mir unbedingt die Fotos ihres Erotik-Shootings zeigen wollte.“
Miriam Engelhardt: „Das hat viel mit Körperkontakt zu tun. Man berührt den Kunden ja an intimen Stellen, an den Ohren, am Kopf, da geht sonst nur der Partner ran. Ein wichtiger Aspekt ist auch das Sprechen über den Spiegel – man schaut sich nicht direkt in die Augen. Im Grunde schaut der Kunde sich selbst an, wenn er mit dir spricht. Das schafft eine gewisse Distanz und führt dazu, dass er sich frei fühlt und leichter über Probleme redet.“
Silvia Rautenhaus ergänzt: „Das Ganze ist ja eine große Vertrauenssache – der Kunde gibt sich sozusagen in meine Hände – und ich nehme ihm auch etwas, ich schneide seine Haare, verändere sein Aussehen. Dieses Vertrauensverhältnis schafft die Basis dafür, dass ein Kunde einem Persönliches anvertraut, denke ich.“
„Der Salon ist für mich ab und an auch ein geschützter Ort, an dem ich Dinge aussprechen kann, die woanders keinen Raum finden,“ erzählt Silvia Rautenhaus. „Wenn ich mir zum Beispiel Sorgen um meinen Sohn mache und mir das den ganzen Tag durch den Kopf kreist, dann erzähle ich das auch meinen Kunden.“
Lisa Hardtke geht es ähnlich: „Mit einigen Kunden habe ich eine so tiefe Bindung, dass ich selber auch ganz viel aus den Gesprächen schöpfe. Eine Sache ist so richtig schön: Wenn ich einen Urlaub gebucht habe, erzähle ich meinen Kunden über Wochen davon, immer wieder – ich gerate dann geradezu in einen euphorisierten Zustand, sodass ich die Vorfreude kaum noch aushalten kann.“
Sibel Agir hält sich eher zurück und erzählt selten Persönliches. „Ich denke, das ist generell eine Typsache. Ich bin mehr Zuhörerin und Ratgeberin als diejenige, die spricht, sowohl im Beruf als auch in meinem Freundeskreis.“
„Es klingt wie ein Klischee, aber wenn eine Kundin sehr plötzlich eine radikale Frisur-Veränderung möchte, dann kann man sich ziemlich sicher sein, dass sich irgendwas Bedeutendes bei ihr verändert hat – eine Trennung, eine neue Liebe oder ein anderer Befreiungsschlag. Ich glaube schon, dass es etwas Therapeutisches hat: Man lässt buchstäblich einen Lebensabschnitt hinter sich“, so Sibel Agir.
„Es gibt Kunden, denen man anmerkt, dass sie einsam sind und für die der Gang zum Friseur eine wichtige soziale Funktion erfüllt“, erklärt Silvia Rautenhaus. „Das äußert sich aber weniger beim Haare-Machen. Ich habe eine Kundin, die sich sehr schwer von uns lösen kann. Die bleibt dann nach dem Bezahlen noch eine Weile am Tresen stehen und auch das Termin-Vereinbaren dauert sehr lange.“
„Für die meisten bietet der Friseurbesuch auf jeden Fall eine schöne Auszeit: Mal eine Zeitung lesen, die man sich selber nie kaufen würde, massiert werden und einfach drauf losquatschen“, sagt Lisa Hardke. „Gerade bei Müttern kann man beobachten, wie sehr sie das genießen. Normalerweise im Dauereinsatz, müssen sie hier einfach mal gar nichts machen und können alle Verantwortung ablegen.“
Miriam Engelhardt ergänzt: „Im Prinzip gilt das auch für die Obdachlosen, für die wir einmal im Jahr im Rahmen des Wohlfühlmorgen kostenlose Haarschnitte anbieten. Auch für sie geht es darum, sich entspannt irgendwo hinsetzen zu können, im Mittelpunkt zu stehen, Aufmerksamkeit zu bekommen, das Seelenleid zu klagen und mit einer neuen Frisur und einem guten Gefühl wieder zu gehen.“
„Es ist eigentlich traurig, aber die Geschichten, an die man sich noch lange erinnert, haben meist mit Schicksalsschlägen zu tun. Vor einigen Wochen hatte ich in diesem Zusammenhang ein sehr bewegendes Erlebnis. Ich habe einer krebskranken Kundin nach ihrer Chemotherapie eine Haarverlängerung gemacht. Sie hat sehr offen von ihrer Krankheit erzählt und am Ende haben wir alle geheult – sie, ich und die anderen Kunden im Salon. Es war unfassbar bewegend, sie wieder mit ihren langen Haaren zu sehen und ein sehr schönes Gefühl für mich, ihr die verlorenen Haare wiederzugeben“, erzählt Silvia Rautenhaus. „Solche Momente sind mit das Schönste, das man aus dem Job mitnimmt.“
„Ich bin Quereinsteigerin, habe eigentlich BWL studiert und früher in einer Werbeagentur gearbeitet“, erzählt Lisa Hardtke. „Dort war meine Arbeit nur ein Zahnrad von vielen in einem großen Prozess. Hier ist das total geil: Du hast das Produkt deiner Arbeit direkt vor dir. Du machst einen Haarschnitt und in mehr als 95 Prozent der Fälle sind die Menschen glücklicher als vorher – das ist sehr befriedigend.“
„Zwei Dinge machen den Job für mich aus: Zum einen die persönliche Beziehung zu den Kunden“, sagt Silvia Rautenhaus. „Das gibt mir ganz viel und würde mir fehlen, wenn ich nicht mehr arbeiten könnte. Das andere ist die Zufriedenheit, wenn eine Kundin rausgeht und sagt, jetzt fühle ich mich toll. Manch ein Kunde kommt schlecht gelaunt in den Salon und geht mit einem Lächeln wieder raus. Das ist ein tolles Gefühl: Jemanden irgendwie wieder ein bisschen glücklich zu machen.“