Alles eine Frage der Definition – KLUB DIALOG

Alles eine Frage der Definition

von  Anja Rose

Lästiges Ärgernis oder Problem mit Lösungsanspruch? – Eine Frage der Definition

Ich stand vor dem Wasserhahn und lauschte. Er machte ein nerviges Klopfgeräusch. Das tat er schon eine geraume Weile. Aber jetzt konnte ich irgendwie nicht mehr darüber hinweghören. Glücklicherweise ließ sich die Sache ziemlich leicht lösen: Drehte man den Hahn fester zu, war Ruhe. Ich informierte alle Hahnnutzer:innen, bat um Beachtung der neuen Handhabung – und vergaß die tropfende Armatur. Irgendwann hörte das Tropfen auf und zufrieden stellte ich mal wieder fest: So manches löst sich am besten, wenn man es einfach vergisst.

Nun, nicht so der Wasserhahn. Statt das Wasser tropfenweise abzugeben, floss es einige Wochen später beim Aufdrehen des Hahns nun im feinen Rinnsal aus irgendwelchen Ritzen. Dann bildete sich auch ohne Zutun mit der Zeit eine kleine Pfütze um die Armatur. Zu starkes Aufdrehen führte nun stattdessen zu einem kleinen hübschen Springbrunnen.

Was haben wir denn da?

Lassen wir doch mal einen Moment die Gedanken fließen und überlegen, was wie hier haben. Herausforderung? Ärgernis? Problem? Nun, die Dinge liegen ja immer im Auge der Betrachterin. So manch eine:r hätte vielleicht bereits zu Beginn der ungeplanten Wasserabgabe zum Werkzeug gegriffen oder eine:n Klempner:in gerufen. Ich gebe zu: Daran hatte ich auch gedacht, sogar an letzteres. Mehrfach, um es genau zu sagen. Allein – war das denn jetzt wirklich schon ein Problem? Und wenn ja, sogar eines mit solch einem Ausmaß, dass es das Hinzuziehen einer Expert:innenmeinung bedurfte? Na? Genau: Das ist schlicht eine Frage der Definition. Wo hört ein dämliches Ärgernis auf und wo fängt es an, ein Problem zu sein? Noch dazu eines, das einer tatsächlichen Lösung bedarf?

Genau genommen ist das eine Frage des Charakters. Im Kern nämlich geht es doch um individuelle Belastbarkeit, darum, wie lange ich a) so etwas aushalten kann, b) wie stoisch ich darüber hinwegsehe und c) ja, letztlich auch, wie bequem ich bin. Ich für meinen Teil kann prima mit kleinen Missständen leben, bin eine Meisterin im Drüberwegsehen, zumal wenn das Beseitigen eine Aktion erfordert, die außerhalb meiner ritualisierten alltäglichen Handlungsabläufe liegt, wie beispielsweise die Beauftragung einer Installateurin oder eines Klempners. Die würde nämlich in einem ersten Schritt die Recherche einer selbigen erfordern und den Anruf bei einem solchen nach sich ziehen. Das geht nicht mal eben zippzapp, das erfordert Planung. Wann suche ich nach Anbietern, nach welchen Kriterien entscheide ich mich für eine:n Dienstleister:in und wann würde ein Reparaturtermin überhaupt in meinen Kalender passen? Man stelle sich außerdem diese Anfrage vor: Entschuldigen Sie, mein Wasserhahn tropft, können Sie das bitte reparieren? Und am anderen Ende der Leitung ein Mensch, der von Berufs wegen tagtäglich mit weiß-der-Himmel welchen Problemen kämpft, WIRKLICHEN Problemen. Lächerlich. Peinlich wäre das geradezu. Wahrscheinlich käme der Hinweis, ich solle mal den Hahn ordentlich zudrehen. Das geht schon beim gedanklichen Durchspielen irgendwie gar nicht.

Na, geht doch

Festes Zudrehen, Putzlappenwickel oder ritualisiertes Aufwischen hingegen geht leicht von der Hand und ganz fix nebenbei und zwischendurch. Keine Planung, keine Entscheidung, keine Aktion. Macht in der Summe – nein, nicht Bequemlichkeit, sondern: kein Problem. Sag ich doch: Alles eine Frage der Definition.

Die Autorin

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