Spielen in einer Welt ohne Licht – KLUB DIALOG

Spielen in einer Welt ohne Licht

Aus dem Alltag blinder Eltern

Wie spielt man eigentlich, wenn man nichts sehen kann? Diese Frage habe ich mir nie gestellt – bis zu meinem Besuch beim Dinner im Dunkeln im Universum Bremen. Bei dieser Veranstaltung verbringt man einem Abend in einer Welt ohne Licht. Man diniert zusammen in einem stockfinsteren Raum und kann so einen Einblick bekommen wie es ist, wenn man nicht sehen kann. Dieser Abend hat mich dazu angeregt, mich intensiver mit dem Thema Sehbehinderung auseinanderzusetzen. Besonders die Spiele, die an dem Abend im Universum ausgestellt waren, haben meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Spielkarten zum Beispiel. „Man kann Karten spielen, wenn man blind ist?“, war meine erste Reaktion, als ich das Kartendeck dort auf dem Tisch liegen sah. „Wie soll das denn gehen? ‚Mensch, ärgere dich nicht‘ gibt es auch… und einen Zauberwürfel?“

Beim Dinner im Dunkeln habe ich Hannelore und Werner kennengelernt. Beide sind sehbehindert und laden mich zu sich nach Hause ein. Meinen Plan, beim Spieleabend des Blinden- und Sehbehindertenvereins Bremen e. V. mitzumachen, kann ich leider nicht in die Tat umsetzen. Stattdessen berichten die beiden mir von ihren Erfahrungen und zeigen mir, welche Spiele sie bei sich zu Hause haben.

„Habt Ihr die mit Euren Kindern gespielt?“ frage ich sie bei Kaffee und Kuchen. „Wie ist es überhaupt, Kinder zu haben, wenn beide Elternteile blind sind? Ich meine, man tobt doch auch viel, gerade wenn die Kinder noch klein sind. Wie habt Ihr das gemacht?“ frage ich und hoffe, mit dieser Frage nicht Salz in eine offene Wunde zu streuen. Meine Bedenken sind unbegründet. Die beiden berichten mir freudestrahlend, dass sie sehr viel mit den Kindern gespielt und natürlich auch getobt haben. „Werner hat oft mit den Kleinen ‚Pferdchen‘ gespielt, ist durch die Wohnung gekrabbelt mit den Kindern auf dem Rücken. Manchmal haben wir auch ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ gespielt. Alles gar kein Problem“, erzählt Hannelore. Ich bin erstaunt und muss lachen. Ein bisschen wegen der Art, wie Hannelore von ihren Erfahrungen berichtet, ein bisschen über mich selbst. Mir ist es ein wenig unangenehm, dass ich davon ausgegangen war, dass die beiden beim Spielen eingeschränkt sind.

Dann holen die beiden ihre Gesellschaftsspiele heraus. Sie berichten mir, dass sie lange nicht mehr gespielt haben – die Kinder sind schon eine Weile aus dem Haus. Es gäbe sicherlich auch schon jede Menge neuer Spiele für Sehbehinderte, die sie vermutlich gar nicht kennen.

Zunächst zeigen sie mir ihr „Mensch ärgere dich nicht“. Um die verschiedenen Farben der Spielfiguren erkennen zu können, hat jede Sorte eine andere Form. So kann man sie voneinander unterscheiden. Die Felder des Spielbretts haben Löcher. So können die Spielfiguren nicht umfallen. Das Startfeld hat Noppen, damit man fühlen kann, an welcher Stelle man raussetzen muss, wenn man eine Sechs gewürfelt hat.

Beim Würfel sind die Punkte der Zahlen nicht wie normal nach innen, sondern nach außen gewölbt, damit man sie ertasten kann. Wie weit man noch laufen muss bis zum Ziel ertastet man ebenfalls. Man muss ein wenig Geduld mitbringen, denn es dauert etwas länger, als wenn man seine Augen nutzen kann, berichten mir Hannelore und Werner. Aber das macht ja nichts, schließlich ist es ein Gesellschaftsspiel und kein Wettrennen!

In der Spielesammlung der beiden gibt es auch Mühle und Schach. Die Spielsteine sind wie beim „Mensch ärgere dich nicht“ durch verschiedene Formen in der Farbe zu unterscheiden und mit einem Aufsatz versehen, damit sie auf dem Spielbrett halten. Hannelore, Werner und ich wundern uns, wie man beim Schach sehen kann, auf welchem Feld man steht. Diese scheinen nicht fühlbar gekennzeichnet zu sein. Wir fragen uns, ob man es in diesem Fall tatsächlich nur mit einem Menschen zusammen spielen kann, der etwas sieht. Eigentlich können wir uns das nicht vorstellen, finden aber auch keine andere Erklärung. Zu lange ist es her, dass die beiden gespielt haben, gestehen sie mir.

Aber es gibt ja auch noch die Spielkarten. Hier wird mit Blindenschrift gearbeitet. Oben in der Ecke fühlt man das Zeichen für die Farbe der Karte, darunter das jeweilige Symbol. Die „Karo Acht“ zum Beispiel hat eine lange waagerechte Punktereihe für Karo und darunter zwei weitere Reihen für die Zahl acht. Die „Pik Dame“ hat oben gar keine Punkte (für die Farbe Pik) und darunter einen großen Kreis für das Bild Dame. Das verstehe ich schnell, muss aber gestehen, dass ich mir dennoch nicht so richtig vorstellen kann wie es ist, Karten zu spielen, ohne sie zu sehen.

Foto: Claudia Adam

Nachdem wir uns die Spiele angeschaut haben, zeigen mir die beiden noch ihre „Haushaltshilfen“: eine Lesehilfe, die Briefe scannt und vorliest, eine Einkaufshilfe, die jede Menge Barcodes gespeichert hat, um Produkte erkennen zu können, einen „sprechenden Stift“, den man benutzen kann, um zum Beispiel Gläser zu beschriften, wenn man Marmelade selbst gekocht hat und ein Gerät, das einem sagt, welche Farbe bestimmte Gegenstände haben. Die beiden erzählen mir, dass einige Hilfsgeräte für Sehbehinderte sehr teuer sind, dass aber die neue Technik heutzutage vieles leichter und günstiger macht. Klar, wir nutzen ja auch in allen möglichen Bereichen die Sprachsteuerung… Dann zeigt Hannelore mir, wie sie ihr Handy bedient und ich bin schwer beeindruckt, wie schnell sie dabei ist. Sie weiß genau, wo welche App zu finden ist. Ihr Gedächtnis muss unfassbar gut sein. Diesen Gedanken habe ich bei allem, was ich bisher zum Thema Sehbehinderung erfahren habe. Ich bin fasziniert und stelle fest: Es gibt noch jede Menge, was ich gerne wissen würde.

Zu Hause recherchiere ich weiter zum Thema „Spiel für Menschen mit Sehbehinderung“ und Hannelore hat Recht: Es gibt eine sehr große Auswahl an Spielen, sowohl für ganz kleine Kinder als auch für Erwachsene. Ein Spieleabend – ohne dass man etwas sieht? Definitiv möglich! Und ich werde es auf jeden Fall mal selbst ausprobieren!

Wer mehr lesen mag über mein Erlebnis beim Dinner im Dunkeln: „Plötzlich ist es stockduster – zu Besuch beim Dinner im Dunkeln“.

Die Autorin

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