WS #4: Worldcafé Digitale Haltung – KLUB DIALOG

WS #4: Worldcafé Digitale Haltung

21.06.2022
| KLUB DIALOG

Was sind wir bereit für das Allgemeinwohl einzubringen?

KI-gesteuerte Algorithmen, Fake News und eine Nische für jede*n – so divers zeigt sich die Digitalisierung. Segen und Fluch zugleich oder doch die große Chance für das gemeinschaftliche Wohl, wenn wir alle gemeinsam Verantwortung übernehmen? Wie verhalten wir uns als Individuen im digitalen Alltag, wie stehen wir zur Digitalisierung und wer sollte davon profitieren? Das Thema polarisiert und schweißt gleichermaßen zusammen. Am 21. Juni wurde feurig diskutiert: Über Meinungsfreiheit, Big Data, Teilhabe, Machine Learning und die Filter Bubble.

© artundweise

Wenig überrascht schienen viele Teilnehmende, als Moderatorin Sophia Feldmeyer ein kleines Stimmungsbild nach mehrstündiger Diskussion in puncto Themenauswahl einholte. Allerdings sieht das in der Retrospektive womöglich anders aus. Denn die 90-minütige Abschlussdiskussion war durchaus feurig-spannend, teils kontrovers, auf jeden Fall ideenreich und vielseitig. Zu vielen Fragen gibt es noch keine konkreten Antworten, aber genau deshalb laborieren wir – nicht aufhören, sondern weitermachen. Wichtig sei es, die Ergebnisse bzw. die Denkanstöße zu besprechen, durch weiteren Austausch darauf aufzubauen und weiterzuentwickeln, so Kai Stührenberg. Der Staatsrat der Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa erhofft sich von einem Austausch wie diesem „Bewusstsein, neue Ideen und immer die Überlegung, wie kann man das, was hier an Impulsen und Ideen entwickelt wird, zum Gegenstand bremischer Politik machen.“

© Leefje Roy Graphic Recording

Input und Anstoß: Die Workshopleiter Dirk Beckmann (KLUB DIALOG-Vorstand & Geschäftsführer von artundweise) und Thorsten Bauer (STUDIOBAUER & creative director, Medienkünstler u. Kurator) starten die Diskussionsrunden und erinnern „es ist ein Workshop zum Ranfühlen“. Rangefühlt wird sich nun an die Themen Meinungsfreiheit, Machine Learning, Big Data, Teilhabe und Filter Bubble.

Startschuss, der Austausch entwickelt sich recht flott. Manche Gruppen scheinen schon schnell versunken und trotz womöglich zunächst weniger überraschenden Themen, zeigt sich: Alle haben etwas zu fragen, zu antworten oder zu überlegen zu dem großen Thema, das gleichermaßen polarisiert und berührt. Dass die Digitalisierung und unsere Haltung dazu emotional behaftet sind, ist z. B. für Thorsten gar nicht so überraschend: „Können wir Gemeinwohl noch fühlen? Es geht hier bei der Debatte um höchstmenschliche Themen: Was sind wir bereit für das Allgemeinwohl einzubringen? Wie weit treten wir aus unserer Komfortzone heraus? Können wir Verzicht üben?“

Emotionen. Etwas, das sich viele Menschen bei einer KI nicht vorstellen können. Laut dem Film „Her“ können wir Beziehungen zu intelligenten Maschinen aufbauen und sogar Gefühle entwickeln. Möglicherweise werden wir durch KI sogar menschlicher? Dem gegenüber steht die Kontroverse „Befreiung von unmenschlicher Arbeit“ gegen die „Abschaffung des Menschlichen“. Besonders hinsichtlich der Arbeitsmarkveränderungen durch KI sorgen sich viele Arbeitende, wenn es ums Machine Learning geht. Intensiv sinniert wurde auch darüber, wie eine demokratietaugliche KI funktionieren könnte, ob diese imstande ist Verantwortung zu übernehmen und ob das Leben mit der Maschine nachhaltig umsetzbar ist.

Künstliche Intelligenzen bestimmen auch unsere Algorithmen im Internet bzw. in den sozialen Netzwerken. Während die einen nur noch auf TikTok unterwegs sind, weil sie genau diesen Algorithmus lieben, vermissen andere das Stolpern über Content außerhalb ihrer Filter Bubble. Neben den Fragen, ob es eine öffentlich-rechtliche Bubble geben soll, ob diese z. B. auch Extremismus im Netz schürt und ob die Bubble ein unregierbares Volk oder mündige Bürger*innen erzeugt, wurde auch darüber diskutiert, ob die gemeinschaftlichen Narrative durch die Bubble verloren gehen. Oder haben wir aufgrund des Nischenreichtums auch einen größeren Reichtum in den Narrativen? Workshopleiter Dirk dreht die These um: „Früher z. B. haben die Menschen eine Zeitung gelesen und häufig das Gleiche im Fernsehen geguckt. Also viele gemeinschaftliche Narrative. Aber dann kamen wir im Austausch auch auf den Gedanken, ob es nicht genau umgekehrt ist und wir heute mehr Narrative haben.“ Thorsten gibt außerdem zu bedenken: „Ist die Filter Bubble wirklich so neu? Früher haben wir uns ja auch schon z. B. über Kleidung und Musik orientiert wie in der Rocker- oder Punkszene. Ist der Code noch so offensichtlich im Netz und auf Social Media.“ Viele Teilnehmende können ganz gut mit der Bubble leben, wünschen sich allerdings zusätzliche Kennzeichnung, z. B. für unerlässliche Quellen.

© Leefje Roy Graphic Recording
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Viele Menschen sehen ihre Daten, auch wenn häufig das Gegenteil der Fall ist, nicht gern online und im Netz herumschwirren. Allerdings muss kollektives Datensammeln nicht immer schlecht sein – eine digitale ID hat sich doch auch in anderen Ländern schon gut bewährt. Wurde uns das Denken mit Aufkommen des Kapitalismus zunehmend abtrainiert und wir definieren uns zu stark über Besitz und Materialismus? Ist Big Data die Basis für den Überwachungskapitalismus? Ebenfalls im Mittelpunkt dieser Diskussion: digitale Kompetenz als Schulfach. Hier sind sich fast alle einig. Auch darüber, dass eine gemeinwohlorientierte Datennutzung sinnvoll sei. Skepsis bleibt dennoch bei den Fragen, wer diese Datennutzung bezahlt und vor allem, wem die Daten gehören.

Digitalisierung als Schulfach war auch zentraler Bestandteil der Diskussion in Bezug auf das Thema Teilhabe. Hier wurde deutlich, dass die meisten Teilnehmenden das Internet als Grundrecht ansehen, um partizipieren zu können, und die Stimmung hinsichtlich Barrierefreiheit verhalten ist. Hier werde viel geredet, dennoch können auch heutzutage viele Menschen das Internet nicht uneingeschränkt nutzen. Ohne Barrierefreiheit keine Inklusion, also auch keine Teilhabe für alle – deshalb sehen einige Teilnehmenden die Gefahr der digitalen Elite-Bildung. Hier spielt allerdings neben der Barrierefreiheit auch der Faktor Armut eine wesentliche Rolle: es wird befürchtet, dass Armut die digitale Chancengleichheit stark schmälert.
Weitere Kritik kam zu mangelnden Gestaltungsmöglichkeiten in der technischen Umsetzung seitens der Bürger*innen und dass die digitale Teilhabe nicht zu Lasten der analogen Teilhabe gehen dürfe, z. B. die Schließung von Banken. Außerdem wurde nötige Medienkompetenz, vor allem auch in Form von verständlicher Sprache (hierzu gehören auch die typischen AGBs), fokussiert.

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Die Gesetze bzw. Richtlinien für Barrierefreiheit im Internet existieren inzwischen zumindest für die Seiten von öffentlichen Stellen (Behörden, Parlamente, staatliche Universitäten etc.). 2019 hat die Bundesregierung die sogenannte Barrierefreiheit-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) angepasst. Die EU erließ 2016 eine Richtlinie zu diesem Thema. Seit September 2020 müssen die öffentlichen Stellen eine Erklärung zur Barrierefreiheit abgeben und in dieser z. B. erklären, warum z. B. bestimmte Elemente noch nicht barrierefrei zugänglich sind.

Der Zugang zum Internet sollte Grundrecht sein. Die Mehrheit spricht sich klar dafür aus. Wie soll ein freies, digitales Partizipieren ohne Zugang funktionieren!? Wir haben die Meinungsfreiheit im Gesetz verankert, aber was passiert mit ihr, wenn Menschen sich nicht ausdrücken können/dürfen, weil ihnen der Zugang oder das Wissen fehlen, um teilzuhaben. Hier sprachen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch über Menschenwürde und ob die Meinungsfreiheit einen ähnlichen Stellenwert einnehmen sollte.
Mit den Informationsmengen auf Twitter und Co. fühlen sich manche regelrecht überflutet. Fake News sind mitunter schwierig zu entlarven, auch Hass und Hetze haben im Netz eine Stimme. Sollten wir das regulieren oder ist dies genau der falsche Ansatz? Eine Regulierung, z. B. auch in Form einer Landesmedienanstalt für Facebook, würden viele Teilnehmende begrüßen. Auch über die Verantwortung wurde diskutiert: Ab wann tragen wir Verantwortung: beim Like, mit der Veröffentlichung von Content und wie sieht es mit dem Teilen anderer Inhalte aus!?

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In allen großen Themenbereichen kristallisierten sich während des Workshops ein paar stärker fokussierte Aspekte heraus. Dazu gehört z. B. starke Medienkompetenz, der Wunsch nach einer Kennzeichnung der Informationen sowie die Frage, wer reguliert die Daten innerhalb der Bubble. Stärker diskutiert wurde außerdem die Barrierefreiheit, die Gemeinwohlorientierung und welchen Stellenwert diese in den sogenannten „smart Citys“ bei der Diskussion um Digitalisierung einnimmt. Hetze und Gewalt im Internet: Hier spielt für viele vor allem die Distanz eine Rolle, die wiederum eine gewisse Hemmungslosigkeit hervorrufen kann. Wäre der Staat selbst mit einer KI für diese Probleme gut ausgestattet? Hinsichtlich digitaler Kompetenz wurde auch darüber gesprochen, dass jede und jeder Einzelne auch bereit sein muss, Neues anzugehen bzw. zu lernen. Viele empfinden die sozialen Medien trotz kritischer Aspekte als Freiheit und Chance. Und war das nicht schon immer so mit der Filter Bubble? Ohne die Digitalisierung war es womöglich nur weniger offensichtlich. Im Fokus stand auch die Stärke des Bewusstseins (sich dessen bewusst sein, dass wir uns in Filter Bubbles befinden). Es geht auch um das Bewusstsein darüber, dass das Gegenüber womöglich in einer anderen Bubble unterwegs ist und dadurch wiederum komplett anders informiert sein könnte. Dieses Bewusstsein hilft dem gegenseitigen Verständnis.

Laborieren, aufbauen und weiterdenken: Der KLUB DIALOG bietet die Möglichkeit, sich auch weiterhin über wichtige Aspekte der Digitalisierung auszutauschen. – Und zwar im KLUB STAMMTISCH #Digitale Haltung, den es bei uns im KLUB zukünftig geben wird! Weitere Infos wird es in Kürze geben. Also stay tuned!

REISE OHNE RÜCKFAHRSCHEIN?

„Digitalisierung – eine Reise ohne Rückfahrschein mit vielen unbefahrenen Destinationen“: Beim Workshop Digitale Haltung/Verantwortung wurden sicher nicht alle Stationen rund ums Thema abgeklappert, der erste vernetzte Fahrplan enthält aber jede Menge Stoff und Ideen, die weiterentwickelt und ausgebaut werden können. Inklusive Weitsicht, Gemeinwohlorientierung und Rückfahrschein. 😉 Überrascht?

© Leefje Roy Graphic Recording

Ein Workshop-Bericht von Maria Wokurka

Das Video:

Fotos:

Graphic Recording

Graphic Recorderin

Workshop-Kurator

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