Ganz klein und ganz weit weg – KLUB DIALOG

Ganz klein und ganz weit weg

Kaum größer als ein Schuhkarton. Der Asteroidenlander Mascot ist am Ziel seiner weiten Reise angekommen

Es ist der 3. Oktober 2018. Ein vermeintlich ereignisloser Feiertag. Aber kurz nach dem Aufwachen lese ich auf einigen herkömmlichen Nachrichtenportalen, dass es vor wenigen Stunden wohl Grund zur Freude gab: Ein kleines Etwas ist auf einem Asteroiden gelandet. Nach knapp vierjähriger Reise hat es sich „Mascot“, so nennt sich der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bremen gebaute Lander, auf dem Himmelskörper Ryugu niedergelassen. Mascot ist das hübsche Akronym für Mobile Asteroid Surface Scout.

Und das ist auch schon alles, was ich davon ad hoc verstehe. Dankenswerterweise findet zur selben Zeit und praktisch um die Ecke der International Astronautical Congress(IAC) statt. Das ist doch eine feine Gelegenheit, jemanden zu treffen, der mir all das erklären kann!

Ich treffe mich mit Michael Wrasmann vom DLR, der an dem Projekt mitgewirkt hat, auf einen sehr guten DLR-Kaffee. Zur Einstimmung und damit Ihr wisst, worum es geht, gibt es hier ein Video, das das Projekt erläutert:

KLUB MAGAZIN: Wir kennen uns schon länger, deshalb werde ich dich einfach duzen. Ist das okay?

Michael Wrasmann: Völlig in Ordnung.

Heute ist ein Freudentag für dich. Ich habe da vorhin was gelesen über einen Lander namens Mascot.

Ja, tatsächlich ist das sehr außergewöhnlich. Wir hatten in der Vergangenheit einen Kometen kennenlernen können – Philae – und wir hatten die NASA, die auf einen Kometen geschossen hat. Aber wir sind nun die ersten, die tatsächlich auf einem Asteroiden gelandet sind.

Wie sieht Mascot aus?

Der sieht sehr kastenförmig aus. Man könnte sagen: Ein größerer Schuhkarton. Er hat vier Instrumente an Bord und einen Bordcomputer, Antennen und Sensoren, die uns sagen, wie Mascot ausgerichtet ist.

Okay. Aber warum landet man überhaupt auf einem Asteroiden?

Man möchte wissen, wie das Sonnensystem entstanden ist. Auf dem Asteroiden Ryugu findet man geologisch ähnliche Bedingungen, wie sie am Anfang des Sonnensystems herrschten. Wir wollen herausfinden: Wie ist seine Oberfläche? Woraus besteht ein Asteroid, welche Mineralien findet man dort, wie groß ist die Gravitation eines Asteroiden? Und man kann den Bogen noch weiter spannen: Woher kommt eigentlich das Leben? Sind Asteroiden mögliche Busse, die das Leben auf die Erde transportiert haben?

Und wie seid ihr auf diesen Asteroiden gekommen? Ist Ryugu besonders nahe dran?

Nicht unbedingt nahe dran, aber die Größe ist sehr besonders. Er ist runde 800 Meter groß, das ist sehr ungewöhnlich. Und er ist ein sogenannter C-Type-Asteroid, also überwiegend kohlestoffhaltig, was für die Wissenschaft und die Geologie sehr interessant ist.

Und wie kommt man da hin?

Man steht an der Straße, streckt den Daumen aus und wird per Anhalter mitgenommen. Und so war es tatsächlich vor knapp 7 Jahren, als wir JAXA als Kooperationspartner fanden, die das Mutterschiff gestellt haben.

Wer ist JAXA?

JAXA ist die japanische Raumfahrtagnetur, wie das DLR in Deutschland oder die NASA in den USA. Die Japaner planten gerade Hayabusa 2, ein Nachfolgeprojekt einer vorherigen Mission. Sie sagten, sie haben noch Platz für ein bestimmtes Gewicht und ein gewisses Volumen, und da haben wir einfach die Hand ausgestreckt. Wir hatten den Lander schon als Konzept, aber noch nicht gebaut.

Und die Japaner wollten auch rein zufällig in die selbe Richtung fliegen?

Rein zufällig, ja.

Habt ihr sowas schonmal gemacht? Konntet ihr auf Erfahrungswerte aufbauen?

Absolut nicht. Es war alles absolutes Neuland, was wir da vorhatten. Die Komplexität von Mascot kann man vergleichen mit einem Satelliten, der ungefähr so groß ist wie ein Smart. Und das war eine Herausforderung, alles so klein wie möglich zu halten.

Ein bisschen informiert habe ich mich: Vor vier Jahren ist dieses Ding losgeflogen, ist das korrekt?

Korrekt.

Vier Jahre – für welche Entfernung?

Für etwa 300 Millionen Kilometer.

Und ihr vom DLR in Bremen habt den Lander alleine geplant und gemacht?

Nein, in Kooperation mit anderen. Der Lander selber wurde hier in Bremen gebaut. Aber das größte Instrument, das Mikroskop, kommt zum Beispiel von der CNES, das ist die französische Agentur. Andere Subsysteme wurden von weiteren Partnern gebaut: Das Magnetometer wurde von der Uni Braunschweig entwickelt. Vieles kam von anderen DLR-Standorten DLR, wie zum Beispiel die Kamera und das Radiometer, das die Temperaturen misst.

Im Sommer 2018 war Hayabusa 2 praktisch am Ziel. Was hat die Sonde dann gemacht?

Erstmal wurden viele Fotos gemacht, das war ein großes Ereignis in der Wissenschaftsszene. Man hatte immer nur so eine Idee, wie Asteroiden von Nahem aussehen können.

Moment – das wusste man gar nicht?

Über Teleskope kann man Asteroiden sehen, aber man war ja noch nie so nahe dran. Und als Hayabusa 2 dann tatsächlich aus 100 Kilometern Entfernung das erste Bild schickte, hat man die ersten Pixel gesehen und die Form, und das war dann tatsächlich für die Wissenschaft atemberaubend.

Was war denn das Überraschende daran?

Das Überraschende war die Form des Asteroiden und die Gesteinsbrocken, die man jetzt erkennen konnte. Anders als auf dem Mond, auf dem man eine sehr flache Oberfläche hat, konnte man bei Ryugu feststellen, dass da sehr viele Gesteinsbrocken rumliegen, teilweise bis zu 100 Meter groß – bei einem etwa 800 Meter großen Asteroiden ist das schon sehr sehr groß. Das stellt aber natürlich eine Landung auch vor Herausforderungen. Man muss vorher schauen, dass man nicht mitten in so einen Geröllhaufen in der Dunkelheit landet.

Und dann ist heute, am 3. Oktober 2018, der große Tag gewesen. Was hätte schiefgehen können?

Das Schlimmste, das hätte passieren können: Dass Mascot in Hayabusa 2 steckengeblieben wäre. Dieser Separationsmechanismus ist einmalig und das konnten wir hier auf der Erde nur bedingt testen, denn im Weltall haben wir Schwerelosigkeit und auf der Erde nunmal nicht.

Was macht Mascot jetzt?

Wir haben vier Instrumente. Die vermessen die Oberfläche des Asteroiden, die Temperatur, das Magnetfeld. Unser Hauptinstrument, das Mikroskop, untersucht die Oberfläche und liefert dann die Daten an unsere Wissenschaftler. Außerdem werden Fotos gemacht.

Und ihr habt nur 18 Stunden Zeit, las ich. Ist der Asteroid dann vollständig erkundet, weil er so schnuckelig klein ist?

Man könnte das meinen, aber tatsächlich sind die 18 Stunden dadurch bedingt, dass wir eine Batterie haben. Wir haben dort oben keine Stromversorgung, etwa durch Solarpanele. Es wär natürlich schön, noch mehr Zeit zu haben, aber eine andere Stromversorgung hätte Mascot viel zu groß gemacht. Das wäre einfach unmöglich gewesen bei dem kleinen Bauvolumen.

Wie bewegt sich Mascot?

Es gibt da ein kleines Gewicht, das um eine Achse rotiert. Es stoppt zu einer bestimmten Sequenz, und der Gegenimpuls durch dieses Stoppen wird auf die Gesamtstruktur übertragen, die wiederum die Energie dadurch abbaut, indem Mascot hüpft.

Hattet ihr im Vorfeld auch andere Fortbewegungsmöglichkeiten erdacht?

Nein, durch das geringe Bauvolumen war das die einzige Möglichkeit, die wir nutzen konnten.

Der kleine Lander arbeitet nun noch ein paar Stunden vor sich hin. Was passiert dann mit ihm? Schaltet er sich einfach ab?

Ja genau, er schaltet sich ab und ist für immer auf dem Asteroiden. Das ist nicht spektakulär – niemand nimmt ihn mit zur Erde zurück. Hayabusa 2, das Mutterschiff, kommt allerdings 2020 zurück auf die Erde und bringt dann tatsächlich Staubproben vom Asteroiden mit.

Und was ist mit dem Asteroiden?

Er fliegt wahrscheinlich die nächsten Milliarden Jahre in der gleichen Bahn. Mit dem Asteroiden passiert erstmal nichts.

(Interview: Peer Gahmert/Foto: Von Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) – http://www.dlr.de/dlr/en/desktopdefault.aspx/tabid-10081/151_read-12304/#/gallery/7121, CC BY 3.0, Link)

Der Interviewer und der Interviewte

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